Kerstin Kersandt: Lehrerhandreichung zum Thema "Zwangsarbeiterinnen im Raum Mainz-Wiesbaden in der Zeit des Zweiten Weltkrieges" |
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Thematischer Überblick [Fortsetzung]Mit der Hereinholung der osteuropäischen Hausgehilfinnen verfolgte
das Regime aber den-noch neben sozialpolitischen auch ideologische Ziele
(M 48, M 49).
Denn als Dienstmädchen sollten nur solche Slawinnen in Frage kommen,
die einen "germanischen" Eindruck machten und für die
deshalb nach einer "Probezeit" eine spätere "Eindeutschung"
anzustreben war. Das übergeordnete bevölkerungspolitische
Anliegen bestand also darin, die im Osten vermuteten ursprünglichen
Träger "germanischen Blutes" zurückzugewinnen sowie
vor allem deren "rassisch erwünschten" Nachwuchs dem
deutschen Volk zu sichern. Dadurch sollte einerseits die eigene Volksgemeinschaft
zahlenmäßig vermehrt, zum anderen das Slawentum durch Entzug
der wertvollsten "volksbiologischen Substanz" geschwächt
werden. Die Alltagswirklichkeit in Haushalten mit "russischen" Dienstmädchen
gestaltete sich in aller Regel aber nach den konkreten Gegebenheiten
und Bedürfnissen in den einzelnen Familien (M51,
M 52). Was Unterbringung, Essen, Versorgung mit Kleidern und physische
Belastung betraf, so hatten die im Hauswesen eingesetzten Osteuropäerinnen
meistens im Vergleich mit ihren Leidensgenossinnen in der gewerblichen
Wirtschaft das bessere Los gezogen. Infolge des täglichen Miteinanders
und des intensiven Kontakts konnten sich mit der Zeit durchaus tiefere
menschliche Bindungen zu den deutschen Familienangehörigen entwickeln,
was es den Mädchen vielleicht erleichterte, ihr Selbstwertgefühl
zu behaupten. Daneben gehörten allerdings ebenso Heimweh, Isolation
und Demütigungen zum Erfahrungshorizont der "russischen"
Hausgehilfinnen. Diese vermissten insbesondere die Gemeinschaft mit
ihren Kameradinnen aus der Heimat und die Möglichkeit, in der Muttersprache
zu kommunizieren. Da die "hauswirtschaftlichen Ostarbeiterinnen"
ihren jeweiligen "Herrschaften" auf Gedeih und Verderb ausgeliefert
waren, hing gerade von deren Verhalten für die faktischen Lebensumstände
der Ausländerinnen viel ab. Einige Dienstherren agierten mit Gleichgültigkeit,
Gedankenlosigkeit oder Unverständnis, andere überschritten
ohne Hemmungen noch das ihnen von staatswegen zugebilligte Maß
an Ausbeutung, indem sie eine Auszahlung von Lohn gänzlich verweigerten
oder ihr Personal durch Schläge drangsalierten. Als besonders "pflegeleichte", nach Belieben zu kommandierende
und billige Arbeitskräfte erfreuten sich gerade die "Ostarbeiterinnen"
bei den meisten Arbeitgebern rasch großer Be-liebtheit. Zudem
legten die "Russinnen" - vielleicht eingeschüchtert durch
das rigide Straf-system - ein überraschend hohes Leistungsniveau
an den Tag (M 21,
M 22). Immer wieder strichen Behörden und Betriebsleiter deren
Verständigkeit, Zuverlässigkeit und Arbeitswillen überschwänglich
heraus. Viele Unternehmer bevorzugten die "unproblematischen"
Frauen aus der Sowjetunion gegenüber den Ausländerinnen anderer
Nationalität, die sich eher ein selbstbewusstes Auftreten und sogar
gewisse Nachlässigkeiten erlauben konnten. Im Ver-gleich zu den
männlichen "Ostarbeitern" sahen die Behörden und
Unternehmer darüber hin-aus in der Beschäftigung der Slawinnen
das geringere Sicherheitsrisiko, man stufte sie als "unpolitisch"
und devot ein. [17] Programm Sauckels vom 20. April 1942, abgedruckt in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 14. November 1945-1. Oktober 1946. Amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache. 42 Bde. Nürnberg 1947-1949 (zukünftig zitiert als IMT), Bd. 25, Dok. 016-PS, S. 63. | ![]() |