zurück zur Startseite
 

Kerstin Kersandt:  Lehrerhandreichung zum Thema "Zwangsarbeiterinnen im Raum Mainz-Wiesbaden in der Zeit des Zweiten Weltkrieges"

Thematischer Überblick [Fortsetzung]

Mit der Hereinholung der osteuropäischen Hausgehilfinnen verfolgte das Regime aber den-noch neben sozialpolitischen auch ideologische Ziele (M 48, M 49). Denn als Dienstmädchen sollten nur solche Slawinnen in Frage kommen, die einen "germanischen" Eindruck machten und für die deshalb nach einer "Probezeit" eine spätere "Eindeutschung" anzustreben war. Das übergeordnete bevölkerungspolitische Anliegen bestand also darin, die im Osten vermuteten ursprünglichen Träger "germanischen Blutes" zurückzugewinnen sowie vor allem deren "rassisch erwünschten" Nachwuchs dem deutschen Volk zu sichern. Dadurch sollte einerseits die eigene Volksgemeinschaft zahlenmäßig vermehrt, zum anderen das Slawentum durch Entzug der wertvollsten "volksbiologischen Substanz" geschwächt werden.

Nach außen pries Sauckel das Unternehmen als sozialpolitische Maßnahme an, "um der deutschen Hausfrau, vor allem der kinderreichen Mutter sowie der aufs höchste in Anspruch genommenen deutschen Bauersfrau eine fühlbare Entlastung zuteil werden zu lassen und ihre Gesundheit nicht weiter zu gefährden" (M 50) [17]. Mit dem maßgeblichen Erlass vom 8. September steckte der GBA die Rahmenbedingungen für die Beschäftigung von osteuropäischen Dienstmädchen ab. Die staatlichen Vorgaben manifestierten den Status der aus der Sowjetunion importierten Frauen als abhängige, benachteiligte und rechtlose Befehlsempfängerinnen, von denen absoluter Gehorsam erwartet wurde.

Die Alltagswirklichkeit in Haushalten mit "russischen" Dienstmädchen gestaltete sich in aller Regel aber nach den konkreten Gegebenheiten und Bedürfnissen in den einzelnen Familien (M51, M 52). Was Unterbringung, Essen, Versorgung mit Kleidern und physische Belastung betraf, so hatten die im Hauswesen eingesetzten Osteuropäerinnen meistens im Vergleich mit ihren Leidensgenossinnen in der gewerblichen Wirtschaft das bessere Los gezogen. Infolge des täglichen Miteinanders und des intensiven Kontakts konnten sich mit der Zeit durchaus tiefere menschliche Bindungen zu den deutschen Familienangehörigen entwickeln, was es den Mädchen vielleicht erleichterte, ihr Selbstwertgefühl zu behaupten. Daneben gehörten allerdings ebenso Heimweh, Isolation und Demütigungen zum Erfahrungshorizont der "russischen" Hausgehilfinnen. Diese vermissten insbesondere die Gemeinschaft mit ihren Kameradinnen aus der Heimat und die Möglichkeit, in der Muttersprache zu kommunizieren. Da die "hauswirtschaftlichen Ostarbeiterinnen" ihren jeweiligen "Herrschaften" auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren, hing gerade von deren Verhalten für die faktischen Lebensumstände der Ausländerinnen viel ab. Einige Dienstherren agierten mit Gleichgültigkeit, Gedankenlosigkeit oder Unverständnis, andere überschritten ohne Hemmungen noch das ihnen von staatswegen zugebilligte Maß an Ausbeutung, indem sie eine Auszahlung von Lohn gänzlich verweigerten oder ihr Personal durch Schläge drangsalierten.

Als besonders "pflegeleichte", nach Belieben zu kommandierende und billige Arbeitskräfte erfreuten sich gerade die "Ostarbeiterinnen" bei den meisten Arbeitgebern rasch großer Be-liebtheit. Zudem legten die "Russinnen" - vielleicht eingeschüchtert durch das rigide Straf-system - ein überraschend hohes Leistungsniveau an den Tag (M 21, M 22). Immer wieder strichen Behörden und Betriebsleiter deren Verständigkeit, Zuverlässigkeit und Arbeitswillen überschwänglich heraus. Viele Unternehmer bevorzugten die "unproblematischen" Frauen aus der Sowjetunion gegenüber den Ausländerinnen anderer Nationalität, die sich eher ein selbstbewusstes Auftreten und sogar gewisse Nachlässigkeiten erlauben konnten. Im Ver-gleich zu den männlichen "Ostarbeitern" sahen die Behörden und Unternehmer darüber hin-aus in der Beschäftigung der Slawinnen das geringere Sicherheitsrisiko, man stufte sie als "unpolitisch" und devot ein.

[17] Programm Sauckels vom 20. April 1942, abgedruckt in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 14. November 1945-1. Oktober 1946. Amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache. 42 Bde. Nürnberg 1947-1949 (zukünftig zitiert als IMT), Bd. 25, Dok. 016-PS, S. 63.

[zurück]  [weiter]

Hinweis: Diese Webseite wird vom IGL auch Jahre nach Abschluss des Projekts weiterhin zur Verfügung gestellt. Die unten angezeigten Inhalte sind aber veraltet und spiegeln möglicherweise nicht den aktuellen Forschungsstand wider. (Klicken Sie auf diese Meldung, um sie auszublenden.)