Beispiele für die konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen von Polinnen und Ostarbeiterinnen in Industrie, Landwirtschaft und städtischen Behörden

M 26 Nachkriegsbericht Rudi Leitems über die Unterstützung sowjetischer Zwangsar-beiterinnen und französischer Kriegsgefangener bei der Firma EFEN im Rhein-gau

"Während des Krieges hatte ich im Auftrag meines Betriebes auch bei der Firma Efen im Rheingau zu tun. Dort wurden damals Elektronikteile für Flugzeuge und Unterseeboote hergestellt. Eines schönen Tages im Jahr 1941 sagte mein Chef zu mir: "Hör' zu, da sind Rus-senmädchen angekommen, die sie einfach so auf den Feldern einkassiert haben. Und für die müssen wir jetzt im Auftrag von Efen Baracken einrichten. Weil aber die Baracken noch nicht stehen, sind die Mädchen erst einmal in Martinsthal beim Bauern untergebracht. Dort können sie sich aber nicht waschen und nichts. Mach' doch da 'mal so eine Waschanlage!". Darauf-hin haben mein Hilfsarbeiter Josef und ich dort eine Wasserleitung und andere Dinge installiert.
Wenig später hatte ich plötzlich eine Idee und sagte deshalb zum Josef: "Du hast doch auch ein wenig Landwirtschaft. Sieh' doch 'mal, die sind doch alle fast verhungert! Sag' doch Dei-nem Mädchen, es soll einmal einen anständigen Kessel Suppe kochen! "Mach' ich!", sagte er sofort. Dann sagte ich noch zu ihm: "Und dann gehst Du in die Firma und besorgst das ganze Essgeschirr. Aber sage darüber zu niemandem etwas. Nur dem Karl kannst Du etwas sagen!" Und dann kam der Josef mit einem Waschtopf voller Erbsensuppe an, den er auf einem Lei-terwagen transportierte. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass alles in Ordnung war, konnten wir ausschöpfen. Das musste ja alles ganz heimlich geschehen. Die Russenmädchen waren dabei noch ganz eingeschüchtert und verängstigt. Zu einer russischen Zahnärztin, die ganz gut Deutsch konnte, sagte ich: "Ihr braucht keine Angst zu haben! Kommt her! Hier, ich schöpfe aus!". Und dann haben die vielleicht gegessen. Der Bauer hat derweil draußen vor der Tür gestanden, aber der war auch in Ordnung - den hatte ich natürlich vorher erst einmal ü-berprüft.
Neben diesen weiblichen russischen Zwangsarbeiterinnen waren beim Efen auch französische Kriegsgefangene beschäftigt. Nun, ich konnte auch in deren Lager 'rein. Diese Franzosen be-kamen immer vom Internationalen, vom Schweizer und vom amerikanischen Roten Kreuz Lebensmittelpakete. Mit der Zeit haben die mich ja alle ganz gut gekannt. Und wenn wieder eine dieser Lebensmittelsendungen angekommen war, haben sie schon nach dem "Monsieur Rudolf" gerufen, um mir davon etwas abzugeben, damit ich es zu den Russenmädchen nach nebenan bringen konnte. Als die Russenmädchen schließlich den Graben für die Heizungsrohre ausheben sollten, konnte ich nicht anders und musste dagegen protestieren, denn die waren ja durchweg alle unterernährt. Es gelang mir, bei der Betriebsleitung durchzusetzen, dass sie zumindest für die Dauer dieser Erdarbeiten das gleiche Essen wie die deutschen Arbeiter zu-geteilt bekamen. Bei den schwersten Aushubarbeiten konnten die mir zugeteilten Kollegen und ich den Mädchen zudem ganz gut unter die Arme greifen.
Bei der Firma Efen waren aber natürlich auch deutsche Mädchen aus Walluf, aus Martinsthal, auch junge Frauen aus Rauenthal beschäftigt. Die saßen gemeinsam mit den Russenmädchen am Fließband und mussten die anlernen. Die Familien dieser deutschen Mädchen hatten meist alle nebenbei ein wenig Landwirtschaft. Und da gab es etliche darunter, die gewiss keine Na-zis waren. Es ging damals auf den Winter zu, und die Russenmädchen waren in einer ganz erbärmlichen Verfassung. Also bin ich zu den deutschen Mädchen hingegangen, wenn die am Fließband ihre Mahlzeiten einnahmen, und ich habe zu ihnen gesagt: "Hört einmal, könnt ihr das eigentlich mitansehen: Ihr esst, und diese russischen Mädchen haben Hunger! Könnt ihr denen nicht 'mal ein Stückchen Brot mitbringen!" Auf diese Tour haben mein Kumpel und ich das organisiert, dass schließlich die Russenmädchen jeden Morgen ihr Frühstück mitgebracht bekamen. Im Rheingau hatte man damals in solchen Dingen meistens Erfolg, wenn man solche Gespräche mit den Worten "Du willst doch ein guter Katholik sein" einleitete. Übrigens erhielten wir auch vom Rauenthaler Pfarrer Unterstützung.
Aber auch Kleidersammlungen wurden von uns organisiert. Meine damalige Lebensgefährtin und spätere Frau Toni hat zum Beispiel in Wiesbaden in unserer Nachbarschaft und bei Bekannten alte Kleider, Unterwäsche und Pullover gesammelt, und ich habe das dann alles zu den Russenmädchen 'rausgebracht.
An einem Sonntagnachmittag hatte ich schließlich mit meinem Kumpel etwas an einem Stromaggregat zu tun, das etwas oberhalb des Betriebsgeländes gelegen war. Dort hatte man den Bachlauf gestaut, so dass sich hier ein Weiher gebildet hatte. An diesem Tag war dort auch ein Ingenieur, der irgendwann zu uns sagte: "Kommt doch 'mal mit da 'rauf!" Wir gingen also mit ihm mit, und da standen auf einmal die Russenmädchen pudelnackig in diesem Weiher und haben sich gewaschen. Vielleicht war damals die Waschanlage für die Baracken defekt oder etwas Ähnliches. Auf jeden Fall hat sich dieser - auf deutsch gesagt - geile Hund fürchterlich darüber lustig gemacht, wie die Mädchen im kalten Wasser gestanden und gefroren haben. Darüber habe ich so einen Zorn bekommen, dass ich dem derart eine vor den Hals geschlagen habe, dass er in den Weiher fiel. Diese Sache hatte dann insofern noch ein blödes Nachspiel, als ich daraufhin den Betrieb nicht mehr betreten durfte. Damals wollten mich auch der Direktor und noch jemand anderes absolut der Gestapo melden. Das wäre für mich das Todesurteil gewesen. Aber der Karl Führer und noch ein weiterer Mann konnten das mit größter Mühe und Not glücklicherweise noch einmal verhindern.
Später haben die im Betrieb letzten Endes doch noch gemerkt, dass dort etwas los war, weil die russischen Mädchen mit Kleidern usw. versorgt wurden. So etwas war damals nämlich streng verboten. Aber kein einziges von den etwa 120 russischen Mädchen - das jüngste war gerade 13 Jahre alt - hat verraten, woher es diese Sachen bezogen hatte. Sie haben einfach al-le gesagt: ‚Das hat nur so herumgelegen, und da haben wir es uns eben genommen!'. Trotz-dem hatte die Gestapo bereits einige Mädchen verhaftet. Ich weiß leider nicht, was dann aus ihnen geworden ist."

Quelle: Lothar Bembenek und Axel Ulrich: Widerstand und Verfolgung in Wiesbaden 1933-1945. Eine Dokumentation. S. 352-355


M 27 Erinnerungsbericht von Marianna Chyb, ehemalige Fremdarbeiterin bei einem Bauern in der Umgebung von Ulm

"[...] Nach einigen Tagen wurden wir Bauern zugeteilt. Ich hatte Glück, auf gute Menschen zu treffen. Herr Johannes St. forderte von mir die gleiche solide Arbeit wie von seiner Familie, und behandelte mich sehr menschlich. Ich wurde nie geschlagen und war nie hungrig. Die Mahlzeiten aß ich zusammen mit der Familie. Aber ich musste in einem unbeheizten Raum im Dachgeschoss schlafen."

Quelle abgedruckt in: Schönes, schreckliches Ulm, 130 Berichte ehemaliger polnischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in den Jahren 1940 bis 1945 in die Region Ulm/Neu-Ulm verschleppt worden waren, hrsg. von Silvester Lechner, Ulm 21997, S. 107


M 28 Erinnerungsbericht von Daniela Adamiak

"[...] Mit den Bauern, bei denen wir arbeiteten, konnten wir uns nicht verständigen, weil wir nicht deutsch sprachen. Ich hatte Glück. Ich wurde mit anderen Mädchen im gleichen Bau-ernhof untergebracht. Es war die Familie W. in Burgberg, Kreis Heidenheim. Es war ein gro-ßer Bauernhof [...]. Wir wurden gut aufgenommen. Auf uns wartete ein kleines Zimmer, mit zwei Stockbetten, einem Tischlein und mit Stühlen. [...]. Unsere Aufgabe bestand darin, dass wir Getreide zu Garben banden und dann aufstellten. Aber die schwierigste Arbeit war das Festtreten der Sonnenblumen in großen Silos. Das war eine ermüdende Arbeit für uns. Au-ßerdem hatten wir so großes Heimweh, dass wir nicht essen konnten und in der Nacht nicht schlafen konnten. Wir weinten oft."

Quelle abgedruckt in: Schönes, schreckliches Ulm S. 86-87


M 29 Schreiben des Polizeipräsidenten in Wiesbaden an den Reichsnährstand vom 18. November 1943

"Am 19.10.43, gegen 10 Uhr, erschien die polnische Landarbeiterin Karolina C. auf der Be-zirkswache und gab an, sie sei von ihrem Arbeitgeber, Ortsbauernführer T., Wiesbaden, Schwalbacherstr. […] misshandelt worden. Sie weinte, klagte über heftige Schmerzen am rechten Oberschenkel und rechten Ellbogen und erklärte, wenn sie wieder zu T. müsste, wür-de sie sich lieber aufhängen.
Grund: Die C. hatte sich am 18.10. beim Arbeitsamt über das Essen bei T. beschwert; das Ar-beitsamt hat daraufhin den Ortsbauernführer T. angerufen und die Polin wieder zurückge-schickt. Zu Hause angekommen, hätte sie der Vater des Ortsbauernführers mehrmals geschla-gen und als dann später der Ortsbauernführer T. zurückgekommen sei, hätte dieser sie mit ei-nem langen Stück Holz derart geschlagen, dass das rechte Ellbogengelenk blau unterlaufen und angeschwollen ist. Ferner hatte sie am rechten Oberschenkel eine ungefähr 20cm große blutunterlaufene Stelle, die von einem Schlag mit einem harten Gegenstand herrührte. Nach Feststellung durch den Dolmetscher des Arbeitsamtes […] hat T. die C. tatsächlich mit einem Stück Holz geschlagen, was T. anfangs ableugnete, später aber doch zugeben musste. Die polnische Landarbeiterin ist daraufhin von Reg.Oberinsp. R. in einen anderen Betrieb umge-setzt worden.
Es ist jetzt der zweite Fall, dass T. eine schlechte Behandlung ausländischer Arbeitskräfte nachgewiesen worden ist. T. als Ortsbauernführer müsste aber allen übrigen Bauern und Landwirten ein Vorbild sein. Der Kreisobmann der Deutschen Arbeitsfront, dem die polni-sche Landarbeiterin C. zugeführt wurde, hat sich über das Verhalten des Ortsbauernführers T. sehr missfällig ausgesprochen und eine Überwachung des Betriebes angeordnet."

Quelle: HHStA 482/37b



M 30 Schreiben des Oberbürgermeisters von Wiesbaden vom 8.4.1944 an das Städtische Tiefbauamt

Die Abortanlagen in dem Frauenbau des Ausländerlagers an der Welfenstraße sind seit eini-ger Zeit verstopft und zum Teil unbenutzbar. Diesem unhaltbaren Zustand muss schnellstens abgeholfen werden.
Ich ordne hiermit an, dass das Tiefbauamt sofort und ohne jede weitere Verzögerung die Ver-stopfungen der Abortanlagen beseitigt, [...]."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 2522


M 31 Vermerk in den Akten des Hauptamtes vom 28. Mai 1943

"In dem Lager an der Welfenstraße waren bisher nur 60-70 Russinnen untergebracht. Nun-mehr wird das Lager in weit größerem Maße als bisher ausgenutzt. Es ist ständiger Zuzug da, so dass damit gerechnet wird, dass in kurzer Zeit mehrere hundert Personen dort unterge-bracht sind. Neben dem Lagerführer sind 2 städtische Wachleute im Lager beschäftigt, die abwechselnd je 24 Stunden Dienst haben. Es hat sich als Mangel herausgestellt, dass die Wachleute keine Waffe zur Verfügung haben, um evtl. Überfälle energisch abwehren zu kön-nen. Schon vor längerer Zeit ist von nicht zum Lager gehörenden Polen versucht worden, zu den Russinnen einzudringen, und mit der Häufung derartiger Überfälle wird in Zukunft ge-rechnet werden müssen, zumal in dem Gesamtlager selbst, wenn auch räumlich getrennt von den Frauen viele männlich Personen untergebracht werden. Es muss versucht werden, mög-lichst eine Faustfeuerwaffe für die Wachmannschaft zu bekommen."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 2522


M 32 Schreiben des Hauptamtes vom 18. Juni 1943 an das Hochbau- und Maschinenamt

"[...] Außerdem haben sich insofern schon sehr viele Beanstandungen ergeben, als die Russen und Russinnen mangels der geeigneten Umzäunung außerhalb ihrer erlaubten Ausgehzeit sich von dem Lager entfernen und erst spät in der Nacht zurückkehren, weil eine richtige Kontrolle jetzt nicht möglich ist. Wir bitten deshalb darauf zu achten, dass die vorgeschriebene Umzäu-nung um das Lager und innerhalb desselben mit größtmöglicher Beschleunigung fertiggestellt wird."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 2522



M 33 Schreiben des Hauptamtes vom 19. August 1943 an das Hochbau- und Maschinenamt

"Bei einer Besichtung des Lagers wurde festgestellt, dass hinter der ehemaligen Judenschule ein 2-3 m freier Durchgang ist, durch den ein ungehinderter Verkehr zwischen Franzosen und Ostarbeiterinnen möglich ist. Dieser Durchgang muss sofort durch einen Zaun geschlossen werden. [...] Da die "Ost"- und "Westarbeiter" auch verschieden verpflegt werden, muss ver-mieden werden, dass sie bei der Essensausgabe miteinander in Berührung kommen. [...] Die im Lager vorgesehene Haftzelle muss heizbar sein, damit sie auch im Winter belegt werden kann."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 2522


M 34 Schreiben der Firma WILAG (Wiesbadener Laden-Einrichtung A. G.) vom 17. Oktober 1944 an die Verwaltung der Gemeinschaftslager

"In letzter Zeit ist es wiederholt vorgekommen, dass Ostarbeiterinnen unseres Betriebes die im Lager "Willi" untergebracht sind, uns um Abgabe von Brennmaterial gebeten haben, das sie angeblich zum Kochen ihrer Wäsche benötigen. Auf Befragen, warum sie dieses Ansinnen an uns stellten, wurde erwidert, dass sie im Lager kein Brennmaterial bekommen würden.
Auf telef. Anfrage erklärte uns der Lagerverwalter, dass er kein Brennmaterial habe. Wir hal-ten es für selbstverständlich, dass das Lager dafür Sorge tragen muss, dass sich die Insassen ihre Wäsche reinigen können und bitten Sie, die Angelegenheit zu regeln, denn wir haben großes Interesse an der Sauberhaltung unsere Ostarbeiterinnen, sind aber leider nicht in der Lager Brennmaterial für obige Zwecke zur Verfügung zu stellen."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 2522


M 35 Schreiben des Lagerführers im Lager "Willi" an der Welfenstraße, Wiesbaden vom 9.10.1944 an die Verwaltung der Gemeinschaftslager

"Am 5.10.44 wurden dem Lager Willi, von der Firma Wibriko, Kohlen, Koks & Braunkohlen geliefert. Da keine Brikett z.Zt. geliefert werden, sollten diese Kohlen als Küchenbrand be-nutzt werden. Jedoch der Versuch ergab, dass mit diesen Kohlen nichts anzufangen ist. Das Essen kommt in den Kesseln nicht zum Kochen."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 2522



M 36 Schreiben des Lagerführers im Lager "Willi" an die Verwaltung der Gemein-schaftslager vom 13. Januar 1945

"Betr: Bombenschäden vom 13.1.45
Im Lager Willi sind an 3 Baracken die Wände aus den Fugen gehoben sowie etwa 25 Fenster-scheiben zerbrochen."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 2522


M 37 Schreiben des Oberbürgermeisters von Wiesbaden an das Städtische Tiefbauamt vom 28. Mai 1943

"Durch Vermittlung des Arbeitsamtes wurden der Stadtverwaltung 3 Ostarbeiterinnen zuge-wiesen, die auf den Müllplätzen als Müllaussortiererinnen verwendet werden sollen. Es han-delt sich um die Ostarbeiterinnen:
1. L., Jewdokija, geb. 16.3.1925
2. S., Sinaida, geb., 5.7.1925 und
3. J., Maria, geb., 6.6.1919.
[…] Die Beschäftigungszeit beträgt wöchentlich 54 Stunden. Unterkunft und Verpflegung finden die Ostarbeiterinnen im Lager Willi. Die Rapportierung von Arbeitsleistungen usw. er-folgt auf dem gleichen Wege unter Verwendung der üblichen Vordrucke, wie bei deutschen Gefolgschaftsmitgliedern. Über die Eignung, Leistung und Führung ist nach 4 Wochen zu be-richten."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 3652


M 38 Schreiben des Hauptamtes an das Städtische Tiefbauamt vom 22. Juni 1943

"Die Tätigkeit, die die Ostarbeiterinnen auf dem Müllplatz ausüben, ist eine Tätigkeit für un-gelernte Arbeiter, die grundsätzlich nach der Lohngruppe C entlohnt wird. Bei dem Lohn der genannten Ostarbeiterinnen wird aber bereits der vergleichbare Lohn einer Arbeiterin nach der Gruppe B zugrunde gelegt. Durch die Zugrundelegung des Lohnes nach der Gruppe B ist die besonders schmutzige Arbeit bereits abgegolten, so dass weitere Schmutzzulagen nicht mehr gezahlt werden können."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 3652



M 39 Vom Städtischen Tiefbauamt am 20. Mai 1943 ausgestellte Ausnahmegenehmi-gung für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel

"Die Ostarbeiterin Jewdokija L., geboren am 16.3.1925 in Nowy-Tohanlik (Sowjet-Russland), ist auf dem Müllplatze des Städtischen Tiefbauamtes an der Saarstraße beschäftigt. Um zu ihrer Arbeitsstätte zu gelangen, muss sie die städtischen Verkehrsmittel (Straßenbahn und Autobus) von der Welfenstraße bis zum Müllplatze an der Saarstraße benutzen."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 3652


M 40 Schreiben des Städtischen Tiefbauamtes vom 3. September 1943 an das Haupt-amt, Personalabteilung

Die auf dem Müllplatz an der Saarstraße beschäftigten 3 Ostarbeiterinnen
L., Jewdokija
S., Sinaida
J., Maria
sind fleißig und haben bisher keinerlei Anlass zu irgend welchen Beschwerden gegeben. Es wird daher vorgeschlagen, von der Vergünstigung, das Ostarbeiterabzeichen auf dem Ärmel zu tragen, bei diesen 3 Mädchen Gebrauch zu machen."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 3652


M 41 Schreiben des Städtischen Tiefbauamtes vom 20. Mai 1943 an das Städtische Wirtschaftsamt, Abteilung Spinnstoffe

"[…] Das städt. Tiefbauamt hat 3 Ostarbeiterinnen für Aussortierungsarbeiten auf dem Müll-platze an der Saarstraße seit dem 19.5.1943 beschäftigt. Diese Mädchen müssen von der Wel-fenstraße zu ihrer Arbeitsstelle auf dem Müllplatze an der Saarstraße die Städtischen Ver-kehrseinrichtungen benutzen. Die in ihrem Besitze befindlichen Kleidungsstücke sind voll-ständig ungenügend.
Wir bitten die auf den beigefügten Anträgen verzeichneten Kleidungstücke aus Altbeständen frei zu machen und möglichst umgehend dem Tiefbauamt für die 3 Ostarbeiterinnen zur Ver-fügung zu stellen.
Beantragt wurden:
je 2 Kleider
2 Hemden
2 Schlüpfer
2 Paar Strümpfe
1 Paar Schuhe"

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 3652


M 42 Schreiben des Städtischen Tiefbauamtes an das Städtische Wirtschaftsamt vom 15. September 1943

"Bekanntlich hat das städtische Tiefbauamt auf dem Müllplatze an der Saarstraße seit dem Frühjahr 1943 drei Ostarbeiterinnen in Arbeit. Diese 3 Mädchen waren vorher in Oberwalluf bei der Chem. Fabrik Brockhous beschäftigt und haben dort durch einen Fliegerangriff ihre mitgebrachten Winterkleidungsstücke eingebüßt. Für den kommenden Winter ist die vorhan-dene Bekleidung nicht ausreichend. Zur Erhaltung der Arbeitskraft ist es notwendig folgende Kleidungsstücke zu beschaffen:
6 Paar warme Strümpfe
3 gebrauchte Wintermäntel aus Altbeständen
2 Paar Arbeitsschuhe (Leder- oder Lederersatz-Sohlen).
Es wird um Ausstellung eines Bezugsscheines gebeten."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 3652


M 43 Nachträglicher Vermerk des Städtischen Tiefbauamtes vom 2. November 1943 zu obigem Antrag

"[…]
2) 3 gebrauchte Wintermäntel
Das Städt. Wirtschaftsamt hat erklärt, dass keine Wintermäntel aus Altbeständen zur Verfü-gung stehen.
3) Straßenschuhe
Das städt. Wirtschaftsamt hat 3 Bestellscheine über Holzschuhe (Arbeitsschuhe mit Holzsoh-len) ausgestellt. Diese Schuhe können wir nicht gebrauchen, da wir ja selbst Holzschuhe haben. […]"

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 3652.


M 44 Schreiben des Städtischen Tiefbauamtes an das Landeswirtschaftsamt vom 4. November 1943

"Das städt. Tiefbauamt hat bereits schon einmal die zugeteilten Bezugsscheine für Holzschuhe für die auf dem Müllfeld an der Saarstraße beschäftigten 3 Ostarbeiterinnen mit dem Be-merken zurückgegeben, dass diese Schuhe für das Arbeiten auf der Müllhalde unzweckmäßig sind. Es wurde für diesen Sonderfall um Freigabe von leichterem Schuhwerk gebeten. Soeben gehen mir wieder drei Bezugsschein zu für schwere Zweischnallenschuhe ein. Ich habe die-selben dem städt. Wirtschaftsamt mit dem Bemerken wieder zurückgegeben, dass die Mädchen mit diesen Schuhen ihre Arbeit an der Müllböschung nicht ausführen können. […]"

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 3652


M 45 Schreiben des Städtischen Tiefbauamtes, Abteilung Müllabfuhr, vom 3. Juli 1944 an den Aufseher J.

"Das Hauptamt [der Stadt Wiesbaden] hat verfügt, dass jeden Sonnabend-Nachmittag um 3 Uhr abwechselnd eine der drei auf dem Müllplatz beschäftigten Ostarbeiterinnen im Brause-bad in der Rheinstraßenschule pünktlich zur Unterstützung der Badefrau antritt."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 3652

M 46 Schreiben des Städtischen Tiefbauamtes vom 27. Juli 1943 an das Hauptamt, Personalabteilung

"Die Müllabfuhr des städtischen Tiefbauamtes hat 3 Ostarbeiterinnen [...] eingesetzt. Die Mädchen beklagen sich immer wieder über eine nicht ausreichende Verpflegung. Diese soll fast ausschließlich aus einer Suppe aus Weißkraut, Kartoffeln und Wasser bestehen. Diese Suppe soll mittags immer gegeben werden zuweilen auch abends, oder an Stelle derselben Pellkartoffeln. Fleisch soll ausschließlich nur sonntags in kleinen Mengen gereicht werden. Ebenfalls sollen die Brotrationen nicht ausreichend sein."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 3652


M 47 Schreiben des Städtischen Tiefbauamtes vom 27. August 1943 an das Hauptamt, Personalabteilung

"Wie uns berichtet wird, soll das Lager der Ostarbeiterinnen an der Welfenstraße nicht frei von Ungeziefer sein. Die 3 auf dem Müllplatz an der Saarstraße beschäftigten Mädchen sind sehr verstochen und erklären, nachts nicht schlafen zu können. Es wird gebeten, für baldige Abhilfe Sorge zu tragen."

Quelle: StadtA Wi, WI/2, Nr. 3652


M 48 Geheimer Bericht über eine Sitzung vom 3. September 1942 bei Sauckel

"[...] Der Führer hat die sofortige Hereinnahme von 400 000 bis 500 000 hauswirtschaftlichen Ostarbeiterinnen aus der Ukraine im Alter von 15 bis 35 Jahren angeordnet [...]. Der entschei-dende Gesichtspunkt für die Anwerbung der ukrainischen Haisgehilfinnen ist der, dass nach dem ausdrücklichen Willen des Führers nur solche Mädchen angeworben werden, gegen de-ren dauernden Verbleib im Deutschen Reich nach Maßgabe ihrer Haltung und ihres Erschei-nungsbildes keine Bedenken bestehen; denn es entspricht einem ausdrücklichen Wunsch des Führers, dass eine möglichst große Anzahl dieser Mädchen bei Bewährung eingedeutscht wird. Der Führer hat in diesem Zusammenhang geäußert, dass wir unser schulmäßiges Wissen um die Völkerwanderung revidieren müssten, [...]. Die Germanen haben sich ‚wie die Bienen' ausgebreitet: Nur die jungen Völker sind ausgeflogen, während die alten daheimgeblieben sind. Dies ist die Erklärung dafür, weshalb sich gerade in der Ukraine und im nördlichen Schwarzmeergebiet eine so große Anzahl blonder und blauäugiger Menschen befindet, [...]. Hier kann es sich nur um bäuerliche Nachkommen sesshaft gebliebener germanischer Stäm-me handeln, deren Wiedereindeutschung nur eine Frage der Zeit sei. In 100 Jahren sollen nach dem Willen des Führers 250 Millionen deutschsprechende Menschen in Europa leben.
Steht somit die Hereinnahme ukrainischer Hausgehilfinnen nicht nur unter arbeitseinsatzmä-ßigen, sondern auch unter rassischen Gesichtspunkten, so ergibt sich daraus zwangsläufig die Notwendigkeit einer Sonderbehandlung dieser Arbeitseinsatzmaßnahme, was nicht aus-schließt, dass die Hausgehilfen aus der Ukraine vorerst als Ostarbeiterinnen anzusehen und mit dem Kennzeichen ‚Ost' zu versehen sind."

Quelle: IMT, Bd. 25, Dok. 025-PS, S. 84-85

M 49 Rundschreiben der NSDAP, Gau Hessen-Nassau vom 15.4.1942

"Betrifft: Einsatz von wiedereindeutschungsfähigen Personen"
"So notwendig es für eine dauernde Bereinigung der deutschen Ostgebiete ist, die dort woh-nenden fremdstämmigen Elemente nicht sesshaft sein oder werden zu lassen, so unerlässlich ist es auch, das in diesen Gebieten vorhandene deutsche Blut [...] für das Deutschtum zurück-zugewinnen [...]. Gerade aus diesen germanischen Blutsträgern erwuchsen dem früheren pol-nischen Staat jene Führernaturen, die sich letztlich gegen ihr eigenes deutsches Volkstum - sei es in Verblendung, sei es in gewollter oder unbewusster Verkennung ihrer blutlichen Ver-bundenheit - in schärfste Kampfstellung begaben.
Es ist daher ein absolutes volkspolitisches Erfordernis, die angegliederten Ostgebiete und spä-ter auch das Generalgouvernement nach solchen germanischen Blutsträgern durchzukämmen, um dieses verlorengegangene deutsche Blut wieder dem eigenen deutschen Volk zuzuführen. Entscheidend ist, dass [...] deren Kinder nicht mehr dem Polentum anheimfallen, sondern in-mitten einer deutschen Umgebung erzogen werden. [...] Es sind also hauptsächlich zwei Gründe, die die Rückgewinnung dieses verlorengegangenen deutschen Blutes zu einem zwin-genden Gebot machen:
1. Verhinderung eines weiteren Zuwachses zur polnischen Intellektuellenschicht aus germa-nisch bestimmten [...] Sippen,
2. Vermehrung des rassische erwünschten Bevölkerungszuwachses für das deutsche Volk
[...]"

Quelle : HHStA 483/10643

 

M 51 Aus der Kartei der osteuropäischen Arbeitskräfte der Polizeibehörde Wiesbaden




Quelle: StadtAWi, WI/2


M 52 Auszüge aus einem Interview mit Frau Tamara K., geb. S., vom 19. Juli 2000, wohnhaft in Wiesbaden

[...]
HB: Wie ging das dann vonstatten?
TK: Dann konnte man sich registrieren, und da ist man gefragt worden, als Mädchen jetzt, wohin? In die Fabrik, zu den Bauern oder in den Haushalt als Hausmädchen? Und da stand man da, und was weiß ich, was in der Fabrik ist oder auf dem Felde? Wusste man gar nichts! Und da hat irgendein Mann, der da war, ich weiß nicht, wer es war, aber der hat gesagt: "Geh in den Haushalt, da hast du wenigstens das Essen!" Und da habe ich gesagt: "Ja, ich gehe als Dienstmädchen in den Haushalt." Das war mein Glück. Ich hatte - die Leute, die Familie, zu der ich dann kam, waren sehr human.
[...]
HB: Und wo kamen Sie dann an, in welcher Stadt in Deutschland?
TK: Also, in Wiesbaden. Direkt in Wiesbaden.
[...]
HB: Wann sind sie angekommen, wissen Sie das noch?
TK: Ja das war November 42.
[...]
HB: Und vom Arbeitsamt wurden Sie dann verteilt, ja?
TK: Ja. Und da kamen auch schon Leute, also die Dienstmädchen - wir sind ja gefragt worden, wo wir hin wollen, ob wir in die Fabrik oder in die Landwirtschaft oder Mädchen in den Haushalt, ja - und viele haben sich gemeldet entweder aufs Land oder in die Fabrik, damit sie in der Gruppe bleiben konnten. Ich bin in den Haushalt gekommen und war ganz alleine und überhaupt keine Verbindung und kein gar nix, aber ich hatte großes Glück. Das heißt, der Mann - wir sind ja ge-fragt worden, und da war doch einer, der aufgeschrieben hat, wer wohin wollte, ja. Und ich glau-be der Mann hat gesagt: "Geh in den Haushalt!" Denn von Haushalt, Hausarbeit oder was weiß ich oder Landwirtschaft hatte unsereiner je überhaupt keine Ahnung, wenn man 16 ist!
[...]
HB: Wie war das dann auf dem Arbeitsamt? Hat sie dort jemand von der Familie abgeholt?
TK: Ja.
HB: Und was war das für eine Familie?
TK: Das war ein Beamter, ein kleiner Beamter, mit zweieinhalb Kindern, seine Frau war zu der Zeit schwanger, da kam das dritte Kind.
HB: Und wo wohnten die?
TK: In Wiesbaden in der Klopstockstraße. Und das waren sehr nette Leute.
[...]
HB: Und hatten Sie da Ihr eigenes Zimmer?
TK: Ich hatte ein eigenes Zimmer, eine eigene Mansarde, nicht beheizt, aber das war warm, das war nicht so schlimm. Hauptsache ich hatte mein eigenes Zimmer! Und ich durfte in der Wohnung von den Leuten - es ging ja in den Winter, es war Oktober, es ging in den Winter, und die Man-sarde wurde nicht beheizt, und ich habe gern und viel gelesen. Und da hat es geheißen, ich könnte im Wohnzimmer - die hätten mich gerne im Wohnzimmer gehabt zum Lesen oder so, aber das war ja strengstens verboten! Verbrüderung mit dem Feind, hat's geheißen! Für die Deutschen. Also die Russen wurden als Untermenschen deklariert und auch so behandelt, offiziell.
HB: Aber die Familie hat sie nicht so behandelt?
TK: die Familie, das waren ganz normale Leute...
HB: Wie haben Sie sich denn am Anfang verständigt? Hatten sie denn schon mal in der Schule oder so ein bisschen Deutsch gelernt?
TK: Die Leute hatten ein ukrainisch-deutsches Wörterbuch, und ukrainisch konnte ich lesen. Aber sie haben gesagt, innerhalb von drei Monaten konnte ich fließend sprechen.
HB: Waren die sehr geduldig am Anfang mit ihnen, wenn sie etwas nicht verstanden haben, im Haus-halt oder so?
TK: Ja, doch, doch, sie waren sehr sehr nett! Kann man nicht anders sagen. Sie hatten, wie gesagt, zwei kleine Kinder, das dritte war unterwegs, und - das waren anständige Leute, ganz normal...
HB: Und was haben sie da gemacht hauptsächlich?
TK: Na ja, hauptsächlich hab' ich natürlich die Wohnung sauber gehalten.
HB: Mussten sie dann irgendwann auch kochen, oder hat das die Frau gemacht?
TK: Das hat die Frau gemacht, aber als ich ein bisschen fit war, da hab' ich auch gekocht. Und da hat's geheißen: "Weißt du nicht was russisches, koch doch mal was anderes, was wir nicht ken-nen!" doch die Leute waren sehr anständig, sehr sehr sehr! Sie war adeliger Herkunft, und ihre Mutter die Frau von W. aus Bad Homburg, die kam oft - einmal war ich draußen im Lager bei den Russen, also, die in den Fabriken oder sonst wo waren, die wohnten ja in Lagern, und das war dann Treffpunkt, war wunderbar, und da gab's auch mal irgendeinen Wein oder was weiß ich was zu trinken. Und ich hab' davon auch getrunken und war ziemlich betrunken, als ich nach Hause kam, aber ziemlich, weil ich das gar nicht gewohnt war, ja! Und die Frau von W. die war gerade zu Besuch da, und da hat sie gesagt: "Mein Gott, was haben sie mit dem armen Kind ge-macht, was haben sie dem da alles eingeflößt!" Hat mir den Kopf gehalten, dass ich mich erbre-chen konnte...
[...]
HB: Und da haben Sie also gleichzeitig kochen und alles gelernt und gleichzeitig die Sprache gelernt. Da heben Sie also innerhalb kürzester Zeit sehr vie Neues gelernt?
TK: Ja, ja. Na ja, also Deutsch lesen und schreiben konnte man schon von der Schule her, Deutsch als Fremdsprache...
HB: Ach, Sie konnten schon die deutsche Schrift schreiben?
TK: Ja, das hatten wir in der Schule gelernt.
[...]
HB: Sind Sie auch einkaufen geschickt worden oder sowas?
TK: Alles. Ich durfte einkaufen, ich hatte Lebensmittelmarken in der Tasche und alles. Ja, wie die mich kannengelernt hatten, die waren ja auch nicht dumm, die Leute die haben doch auch erst einmal wissen wollen, wes Geistes Kind ich bin, ja! Und - also, es war problemlos.
HB: Und hatten Sie dann sonntags frei?
TK: Von drei bis sechs am Sonntag, von drei bis sechs hatte ich Ausgang!
HB: Sonst mussten Sie immer da sein?
TK: Sonst hatte ich immer Dienst, musste ich arbeiten, ja. [...] Aber die hatten auch Neider, die Leute.
HB: Weil nicht jede Familie ein Dienstmädchen bekam?
TK: Wahrscheinlich weil wir da auch nichts gekostet haben. Also, ich hatte im Monat 7,50 Mark be-kommen für meine Dienste und Kost und Logis. Und da waren ja Hunderte, die das auch gerne gehabt hätten, ja ! [...]In dem Hause, wo ich war, waren neun Familien. Und eine Familie bestand aus Großmutter und Großvater und erwachsene Töchter. Die eine von den Töchtern war [...] Für-sorgerin [...] und die andere war Lehrerin [...] Da ist folgendes passiert: Ihre Toilettenschüssel hat einen Sprung gekriegt, was weiß ich. Und die alte Toilettenschüssel haben sie im Hof deponiert, bis sie abgeholt wird von irgendwelchen Instanzen da, und haben neue Toilette bekommen. Und die alte Toilette war wirklich sehr verkommen, aber absolut verkommen! Und ich habe mir er-laubt, das ganz laut zu sagen! [...]
HB: Das haben die gehört?
TK: Ja. Die Fürsorgerin, die war noch...Aber die Lehrerin, ja! Die Lehrerin hat gesagt, sie würde am allerliebsten meine Kopf da in die Kloschüssel reinstecken und mich noch stumpen, ja , und was weiß ich was!
HB: Und wenn Sie frei hatten, dann konnten Sie sich innerhalb von Wiesbaden frei bewegen?
TK: Ja, innerhalb von Wiesbaden. [...]
HB: Aber Sie durften nicht die Straßenbahn fahren, oder?
TK: Nein, um Gottes Himmels willen, nein! Das ging nicht! Aber zu Fuß durfte ich überall hingehen.
[...]
HB: Was haben sie denn so mit den anderen Mädchen sonntags gemacht? Sind Sie spazieren gegan-gen zusammen manchmal, oder...
TK: Wissen Sie, das war - also, ob ich alleine so schwatzhaft bin oder sie alle...-es war Hauptsache, im Kreis...
HB: ...in der Gemeinschaft...
TK: ...in der Gemeinschaft, und erzählen...
HB: Und das war jedenfalls immer für Sie eine große Freude, wenn Sie ihre Freundinnen am Sonntag dann wiedergesehen haben?
TK: Also, Sonntag war von 3 bis 6, glaube ich, erst ab 3. Das war dann, ins Lager gehen, war das A und O, weil da die meisten, die waren ja zusammen, und da konnte man schön schwatzen, und wie gesagt, Wein getrunken. Und da waren auch Männer, das war ein gemischtes Lager, Männer und Frauen, und viele Leute vor allen Dingen.
[...]
HB: Wenn sie rausgegangen sind zum Einkaufen, oder sonntags zu den anderen Mädchen, da mussten sie immer Ihr "Ost-Abzeichen...
TK: "Ost-Abzeichen, ja, ja. War aufgenäht auf Mantel oder Jacke im Sommer, war aufgenäht.
[...]
HB: Aber wie war das denn dann, wenn Bombenalarm war? Durften Sie...
TK: Ja, da musste man in den Luftschutzkeller.
HB: Durften Sie da mit in den Luftschutzkeller gehen?
TK: Ja, und der Dr. K., ein Chemiker, der hat gesagt: "Das müsste verboten werden, dass Russen den gleichen Luftschutzraum benutzen wie die Deutschen!"
HB: Aber Ihre Familie hat sie mit in den Luftschutzkeller genommen?
TK: Ja. Aber es waren ganz normale, anständige Menschen. Kann man nicht anders sagen.
[...]
HB: Haben sie denn irgendwann mal irgendwas miterlebt, auch wenn es sie vielleicht nicht persönlich betroffen hat, dass mal eines der russischen Mädchen mit der Gestapo irgend ein Problem hatte, dass mal eine Frau verhaftet wurde, weil sie ihr Abzeichen abgemacht hatte oder so was?
TK: Ja. Ich persönlich, ich musste auch zur Gestapo! Die guten Nachbarn, irgendeiner muss mich an-gezeigt haben, ich wäre ohne Ost-Abzeichen in der Stadt gesehen worden . War überhaupt nicht wahr! Mein Abzeichen hatte ich angenäht, das konnte ich ja gar nicht abnehmen und so schnell wieder annähen, das war nicht angesteckt.
HB: Und wie war das? Da wurden sie also schriftlich vorgeladen, kam ein Polizist vorbei, oder...?
TK: Also, das weiß ich nicht mehr. Dass ich dort war, weiß ich. Und dass mir einer eine Ohrfeige ge-klebt hat, einfach so, damit's nicht umsonst gewesen ist!
[...]
HB: Hat sich denn auch mal mit einem jungen Mann eine Freundschaft angebahnt bei Ihnen, oder...?
TK: Ach Gott, die Männer, die waren nicht erpicht darauf, so eine - die waren alle - man hat ja nix anzuziehen gehabt! Und für die Männer, die im Lager waren - mancher hat sein Hemd vielleicht mal alle vier Wochen gewaschen, und ein anderer überhaupt nicht oder so, ja! Da war - es gab keine Romantik in der Zeit! Es gab auch kein Verliebtsein und kein gar Nix, es war neutral...

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