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Thematischer Überblick [Fortsetzung & Ende]
Neben allen Vorzügen gab es aus der Perspektive von Partei und
Wirtschaft beim Einsatz von polnischen und sowjetischen Frauen allerdings
einen gravierenden Störfaktor: die Möglichkeit einer Schwangerschaft
der als "rassisch minderwertig" eingestuften Slawinnen. Trotz
zahlreicher Versuche, das Sexualleben der ausländischen Arbeitskräfte
zu reglementieren, konnten intime Beziehungen und ihre etwaigen Folgen
nicht verhindert werden. Aus einem nach höchster Arbeitseffektivität
trachtenden Blickwinkel brachte das Austragen eines Kindes eine ärgerliche
Unproduktivität der weiblichen Arbeitskraft mit sich. Erwartete
eine Frau Nachwuchs, so sahen Regierungsvertreter und Arbeitgeber mit
Unbehagen Leistungsminderung, Arbeitsausfall, organisatorischen Aufwand
und zusätzliche Kosten auf sich zukommen. Vor dem Hintergrund rassenpolitischer
Erwägungen stellte dieses Ereignis zumeist einen "unerwünschten
Bevölkerungszuwachs" dar.
Unter den Vorzeichen der Zwangsarbeit sowie der ablehnenden Haltung
von Staat und Partei bedeutete für die Sowjetbürgerinnen eine
Schwangerschaft eine zusätzliche Härte (M 53-M 55): deutsche
Mutterschutzbestimmungen galten für sie nicht; weder wurden ihnen
Arbeitserleichterungen noch zusätzliche Lebensmittel gewährt.
Die Entbindung selbst barg angesichts der medizinischen Unterversorgung
der "Ostarbeiterinnen" durchaus eine ernste Gefahr für
das Leben der werdenden Mutter in sich. Es entsprach der menschenver-achtenden
Logik des Regimes, dass sich die Bestrebungen auf deutscher Seite zugleich
darauf richteten, Schwangere, bei denen nicht mit "rassisch wertvollem"
Nachwuchs gerechnet wurde, zum Schwangerschaftsabbruch zu bewegen
- und dies gegebenenfalls auch unter Zuhilfenahme von Druckmitteln (M56,
M 57, M
61-M 63).
Damit der vermeintliche "Wert" eines Kindes noch im Mutterleib
ermittelt werden konnte, mussten sich die werdenden Eltern einer als
ärztliche Untersuchung getarnten "Rassenprüfung"
unterziehen. Sie wurden vermessen, gewogen und hinsichtlich verschiedener
Gesichts- und Körpermerkmale, wie Wuchsform, Haltung, Kopfform,
Nasenbreite, Backenknochen und Körperbehaarung genau klassifiziert.
Dieses pseudowissenschaftliche Verfahren wickelte ein besonders geschulter
"Eignungsprüfer" des Rassenamtes ab, der die erhobenen
Daten auf der Rückseite vorgedruckter sogenannter "R-Karten"
("Rassen-Karten") eintrug (M
58). Offenbar einmal im Monat machte er bei den Gesundheitsämtern
im Einzugsbereich der Wiesbadener Dienststelle des Rasse- und Siedlungswesens
die Runde, um sich der Auslese von Ausländern zu widmen. Bedenken
gegen eine Abtreibung äußerte der "Rassenspezialist"
eher selten. Mit der hinter den Namen der überprüften Osteuropäerinnen
notierten knappen Formel "kein Interesse" gab er statt dessen
meistens grünes Licht für einen Schwangerschaftsabbruch (M
59, M 60). Allerdings verhinderten Rivalitäten unter den verschiedenen
zuständigen Stellen sowie lange bürokratische Wege teilweise
eine reibungslose Durchführung der Abtreibungspläne. Manchmal
konnte ein beabsichtigter Abbruch nicht mehr vorgenommen werden, da
nach Klärung der notwendigen Fragen die Schwangerschaft schon zu
weit fortgeschritten war (M
64-M 65).
Kinder, die den Vorstellungen der Rassenexperten entsprachen, sollten
dagegen unbedingt ausgetragen werden. Ziel war es, den Müttern
die Säuglinge kurz nach der Geburt wegzu-nehmen, um sie dem "deutschen
Volk" einzuverleiben. Für die allermeisten sowjetischen Frauen
fiel unter diesen Umständen eine Schwangerschaft im Reich als eine
weitere strapazi-öse und bedrohliche Erfahrung ins Gewicht. Dass
polnische und sowjetische Mütter ihre Neugeboren im eigenen Lager
belassen durften, wie etwa in dem städtischen Lager in Wies-baden
oder im Lager der M.A.N. in Gustavsburg, bedeutete bereits einen Glücksfall
(M 66-M 68).
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