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Thematischer Überblick [Fortsetzung]
Die Polenerlasse vom 8. März 1941, die Richtlinien Görings
vom 7. November 1941, die "Ostarbeitererlasse" des Reichssicherheitshauptamtes
vom 20. Februar des folgenden Jahres sowie weitere, zusätzliche
Verfügungen zielten darauf ab, beim Umgang mit den "volksfremden
Elementen" die Umsetzung ideologischer Theorie in die Praxis zu
gewährleisten (M7-M10).
Die diskriminierenden Anweisungen, teilweise ohne jeglichen organisatorischen
oder anderen sachdienlichen Wert, intendierten die Zurücksetzung
und Entwürdigung der Fremden. In den Bestimmungen erfolgte zunächst
kaum eine Differenzierung nach Geschlecht. Unterschiedslos galten die
strengen Präzeptionen sowohl für Männer als auch für
Frauen, ein besonderes Verhalten gegenüber den weiblichen Arbeitskräften
war nicht vorgesehen [9].
Männer wie Frauen aus den eroberten Ostgebieten mussten nach Geschlechtern
getrennt in bewachten, umzäunten Barackenlagern hausen, die sie
nur während der Dienstzeit verlassen durften. Auch an den ihnen
zugewiesenen Arbeitsplätzen unterlagen sie permanenter, scharfer
Beobachtung. Jegliches Solidaritätsgefühl deutscher Arbeiter
mit den ausländischen Kollegen sollte unterbunden und der Untermenschenstatus
der Slawen deutlich manifestiert werden. Jedweder nähere Kontakt
zu Deutschen sowie die Teilnahme am religiösen und kulturellen
Leben waren den Polen und "Ostarbeitern" untersagt. Die Verpflichtung,
ein Abzeichen mit der Aufschrift "P" bzw. "Ost"
sichtbar an der Kleidung zu tragen, grenzte sie deutlich aus, drückte
ihnen den Stempel der Andersartigkeit, Minderwertigkeit auf.
Die Vorgaben hinsichtlich der Verköstigung demonstrieren lebhaft
die Missachtung selbst e-lementarster Bedürfnisse der Ausländer.
Zwar hieß es auf dem Papier, die Reproduktion der körperlichen
Leistungsfähigkeit müsse durch eine ausreichende Verpflegung
gewährleistet werden, doch lief die tatsächliche Lebensmittelzuteilung
dieser zweckorientierten Richtlinie diametral entgegen.
Geringe Verstöße der osteuropäischen Arbeitskräfte
wurden mit strengsten Strafen quittiert. Auch die körperliche Züchtigung
erschien den Nationalsozialisten als legitimes Mittel zur "Disziplinierung"
der "Ostarbeiter" - egal ob männlich oder weiblich. Gingen
die Menschen aus Polen oder der UdSSR eine Liebesbeziehungen mit Deutschen
ein, so drohte einem "fremdvölkischen" Mann bei Entdeckung
die Todesstrafe, einer ausländischen Frau die Ein-weisung ins KZ.
Alle Vergehen, deren Ahndung nicht in die Kompetenz der Betriebsführer
oder des Lagerpersonals fiel, gehörten ausschließlich in
den Zuständigkeitsbereich der Gestapo.
Mit ihren rassistisch motivierten Vorschriften über den Lohn und
die Beschäftigungsbedin-gungen gerade der "Ostarbeiter"
leistete die Regierung darüber hinaus den ökonomischen Interessen
vieler Unternehmer Vorschub und öffnete Tür und Tor für
eine profitable Ausbeu-tung dieser ausländischen "Gefolgschaftsmitglieder"
(M 11). Von allen Arbeitnehmerrechten
ausgeschlossen, konnten die "Russen" hemmungslos ausgenutzt
werden. Ohne große Um-stände war es möglich, ihnen jede
noch so schwere, schmutzige und gesundheit-sgefährdende Tätigkeit
aufzubürden (M
17, M 20,
M 21). Die dem
weiblichen Teil der deutschen Bevölkerung zuerkannten Arbeits-
und Mutterschutzbestimmungen besaßen für die Sowjetfrauen
keine Gültigkeit, statt dessen waren sie in Fragen der Arbeitszeit
sowie der körperlichen Belastbarkeit ihren männlichen Leidensgenossen
gleichgestellt, ihr Geschlecht und ihre andersartige biologische Beschaffenheit
sollten in diesen Punkten keinerlei Berücksichtigung finden. Von
einer für die einheimischen Frauen propagierten besonderen Schutzbedürftigkeit
war bei den Slawinnen nie die Rede. Das Entgeld der osteuropäischen
Arbeitskräfte lag trotz überlanger Arbeitszeiten äußerst
niedrig; bezahlt wurden sie nur für tatsächlich geleistete
Arbeit, d.h. sie hatten beispielsweise keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall. Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und
Nachtarbeit erhielten sie nicht. Gerade die "Ostarbeiterinnen"
standen den Arbeitgebern sehr kostengünstig zur Verfügung,
da ihrem Gehalt das ohnehin schon niedrige Einkommen deutscher Frauen
als Vergleichslohn zugrunde lag. Die Industriellen lie-ßen die
Vorteile, die sich ihnen bei der Beschäftigung vor allem sowjetischer
Frauen boten, nicht ungenutzt und trugen damit dazu bei, die weltanschaulichen
Vorstellungen der National-sozialisten in der Praxis umzusetzen.
[9] Der hohe Frauenanteil und die besondere Problematik
beim Einsatz der Ostarbeiterinnen und Polinnen (Schwangerschaft) machten
dann aber schon bald spezielle Nachträge zu den ursprünglichen
Erlassen erforderlich.
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