Kerstin Kersandt: Lehrerhandreichung zum Thema "Zwangsarbeiterinnen im Raum Mainz-Wiesbaden in der Zeit des Zweiten Weltkrieges" |
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Thematischer Überblick [Fortsetzung]Die miserable Versorgung und Behandlung der Sowjetbürger wirkte
sich natürlich kontrapro-duktiv auf deren Leistungsfähigkeit
und Motivation aus. Daher bemühten sich die Betriebe und - besonders
unter dem beunruhigenden Eindruck der Niederlage von Stalingrad dann
auch - einige Verwaltungsstellen zugunsten eines effektiveren Arbeitseinsatzes
um eine Ver-besserung der Situation der "Ostarbeiter". Löhne
und Lebensmittelsätze wurden etwas nach oben korrigiert, die Prügelstrafe
verboten, Fürsorgemaßnahmen intensiviert, Freizeitaktivitäten
angeboten. Dennoch blieb die Situation der sowjetischen Männer
und Frauen bis in die letzten Kriegstage hinein gekennzeichnet durch
Unfreiheit, Repression, Reduzierung des Daseins auf die Funktion als
Arbeitskraft, fehlende Privatsphäre, Mangelernährung und Gewalt. In krassem Widerspruch dazu, dass die weiblichen sowjetischen Arbeitskräfte,
insbesondere was die körperliche Leistungsfähigkeit anging,
als "Nichtfrauen" behandelt werden sollten, blieb ihr Einsatz
keineswegs unberührt von klassischen Rollenbildern. Die Slawinnen
hatten mit handfesten geschlechtsbezogenen Vorurteilen zu kämpfen,
mussten allgemeine geschlechtsabhängige Benachteiligungen erdulden.
Hierbei griffen Konzepte, die das weibliche Geschlecht in Abgrenzung
zum männlichen aufgrund konstruierter oder tatsächlicher Andersartigkeit
ins Abseits stellten und herabsetzten. Die "Ostarbeiterinnen"
verdienten beispielsweise noch weniger als ihre männlichen Kollegen
(M 18). Bei
Krupp in Essen betrug der Bruttomonatslohn für einen einheimischen
Arbeiter durchschnittlich 180 RM, für einen "Westarbeiter"
165,25 RM (91%), für einen männlichen "Ostarbeiter"
73,25 RM (41%), für eine "Ostarbeiterin" schließlich
66,75 RM (37%) [10]. In Extremfällen konnte die
Lohndiskriminierung der weiblichen sowjetischen Arbeitskräfte gegenüber
ihren Landsmännern zwischen 36 und 46 Prozent liegen [11].
Die geringe Verdienstmöglichkeit der "Ostarbeiterinnen"
hängt auch damit zusammen, dass sie häufig ausschließlich
Hilfstätigkeiten erledigen durften, die nur schlecht bezahlt wurden.
Führenden Parteigrößen hielten die Slawen insgesamt
aufgrund ihrer primitiven "Rasse" für unwürdig,
höherwertige, anspruchsvolle und besser dotierte Aufgaben zu übernehmen.
Selbst als man sich aus ökonomischer Notwendigkeit heraus entschloss,
auch die "Ostarbeiter" ent-sprechend eventueller beruflicher
Vorkenntnisse einzuspannen, profitierten die meist sehr jungen sowjetischen
Mädchen davon wohl eher weniger. Wegen ihres Alters verfügten
sie nur selten bereits über eine Berufsausbildung. So wurden bei
der Kruppschen Gussstahlfabrik laut einer Statistik vom November 1942
61,2% der Sowjetbürgerinnen als Hilfsarbeiterinnen eingestuft;
damit lag ihr Anteil an den völlig unqualifizierten Kräften
der Belegschaft noch um einiges höher als bei ihren männlichen
Landsleuten, von denen "lediglich" 50,2% in die Gruppe der
Hilfsarbeiter fielen (M 19)
[12]. Vermutlich konzentrierte sich gleichfalls die in der ersten Jahreshälfte
1943 von Sauckel und der DAF angesichts des besorgniserregenden Facharbeitermangels
initiierte Kampagne zur Anlernung und Schulung der ausländischen
Arbeitskräfte, inklusive derjenigen aus der UdSSR, überwiegend
auf männliche "Gefolgschaftsmitglieder". Entsprechende
betriebliche Erfahrungsberichte jedenfalls beziehen sich, wenn nicht
geschlechtsneutral formuliert, wei-testgehend auf Männer, Frauen
werden dagegen selten ausdrücklich erwähnt [13].
In der Wies-badener Kartei der osteuropäischen Arbeitskräfte
sind männliche wie weibliche Beschäftigte meistens als "Chemiehilfswerker/innen"
oder "Metallhilfsarbeiter/innen" verzeichnet; bei den Männern
tauchen aber gelegentlich auch genaue Berufsbezeichnungen wie Dreher,
Former, Fräser oder Schlosser auf. Je mehr die "Ostarbeiterinnen"
von einem "innerbetrieblichen" Aufstieg ausgeschlossen blieben,
desto weniger erhielten sie Gelegenheit, sich finanziell zu verbessern
oder durch eine qualifizierte Tätigkeit ihr Selbstwertgefühl
zu stärken und eventu-ell die Akzeptanz deutscher Kollegen zu erringen. | ![]() |