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Kerstin Kersandt:  Lehrerhandreichung zum Thema "Zwangsarbeiterinnen im Raum Mainz-Wiesbaden in der Zeit des Zweiten Weltkrieges"

Thematischer Überblick [Fortsetzung]

Der hohe Prozentsatz von Frauen und Mädchen unter den Polen und Sowjetbürgern war von den Parteifunktionären durchaus gewollt. Eine geschlechtsparitätische Zusammensetzung der "Angeworbenen" sollte dazu beitragen, die "Reinhaltung des deutschen Blutes" zu garantieren. Eine ausreichend großen Menge polnischer und sowjetischer Frauen im Reich - so der Gedankengang - verhindere intime Kontakte zwischen "fremdvölkischen" Männern und deutschen Mädchen (M 7). Im Bewusstsein die sexuellen Bedürfnisse der Zwangsarbeiter nicht völlig unterdrücken zu können, zielten die Überlegungen also darauf ab, das Intimleben der männlichen Ausländer geplant zu kontrollieren und zu lenken, indem die Partnerwahl vorgeschrieben wurde. Arische Mädchen waren tabu, statt dessen sollten sich die Begehrlichkeiten der Polen und "Russen" auf ihre weiblichen Landsleute richten. Himmler beruhigte die Befürchtungen der Gauleiter hinsichtlich einer Bedrohung der Würde deutscher Frauen durch die vermeintliche Triebhaftigkeit der Slawen mit den Worten: "Es ist außerdem ja dafür ge-sorgt, dass eine genügende Anzahl polnischer Frauen und Mädel mit herüberkommen [!], so dass also hier von einer Notwendigkeit gar nicht die Rede sein kann" [7]. Nur dort, wo Polen und Polinnen quantitativ nicht annähernd gleichmäßig auf die Betriebe verteilt werden konn-ten, das heißt vorwiegend in Industrieorten, zogen die Verantwortlichen in Erwägung, Bordelle mit polnischen Prostituierten zu schaffen. Wie selbstverständlich erwarteten die Organisa-toren des Reichseinsatzes sowohl von den Polinnen als auch von den "Ostarbeiterinnen" die Bereitstellung der Arbeitskraft und setzten nebenbei auf eine Instrumentalisierung der Frauen für die Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse ihrer männlichen Kollegen; an der Verfügbarkeit der weiblichen Arbeiterinnen bestand offensichtlich kein Zweifel.

In der nationalen Zugehörigkeit, gemäß nationalsozialistischem Vokabular in der "Rasse", lag das entscheidende Kriterium für die Arbeits- und Lebenssituation der während des Zweiten Weltkrieges im Reich beschäftigten ausländischen Arbeitskräfte. Die für die Fremdarbeiter jeweils aufgewendete Fürsorge richtete sich streng nach dem hybriden "rassischen" Wertesystem der deutschen Machthaber (M 4): Die eigene Bevölkerung sollte entscheidend begünstigt werden; "Westarbeiter" wiederum sollten - abgestuft nach dem vermeintlichen Grad der Artverwandtheit ihres Volkes mit den Deutschen - gegenüber osteuropäischen Arbeitskräften ei-ne bevorzugte Behandlung erfahren. Den untersten Platz in dieser auf den ideologischen Grundlagen der Nationalsozialisten fußenden Hierarchie nahmen die Menschen aus der UdSSR ein (M 5, M 6). Von allen zivilen Ausländern, die während des Krieges aus ihrer Heimat verschleppt wurden, hatten die Sowjetbürger in der Regel das schlechteste Los [8]. Die bedingungslose und im Extremfall durchaus existenzbedrohende Schlechterstellung in allen Lebensbereichen setzte Männer und Frauen aus der Sowjetunion gleichermaßen entscheidend sowohl gegenüber deutschen als auch gegenüber allen anderen ausländischen Zivilarbeitern zurück.

Allein der Ausdruck Ostarbeiter, so der offizielle zeitgenössische Name für die zwangsdeportierten Sowjetbürger, rückt die geringschätzende Gesinnung gegenüber den Angehörigen der Völker der UdSSR bezeichnend ins Bild. Durch eine solche Wortwahl wurde die Entindividualisierung und somit Charakterisierung der ehemaligen Untertanen Stalins als dumpfe, un-unterscheidbare Masse, deren höchsten Wert die Arbeitskraft darstellt, befördert.

[7] Rede vor Gauleitern und anderen Parteifunktionären am 29.2.1940, abgedruckt in: Heinrich Himmler: Ge-heimreden 1933 bis 1945 und andere Ansprachen. Hrsg. von Bradley F. Smith und Agnes F. Peterson. (Frankfurt, Berlin, Wien 1974) S. 134.
[8] Natürlich spielten bei der Einordnung eines Volkes in dieses ausgeklügelte System auch politisch-taktische Überlegungen eine Rolle, beispielsweise bei den Rumänen und Slowenen oder anfänglich bei den Italienern.


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