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Günter Henkel: Ein Brief aus Bjelorussland

Andererseits gab man in der Spätphase des Krieges die rassen-ideologischen Grundsätze auch in Kreisen der SS auf. Das geht aus einer "Meldung über flüchtige russische SS-Zöglinge" hervor, die die Ortspolizeibehörde Montabaur am 1. März pflichtgemäß an die Geheime Staatspolizei machte:

"Am 1.3.1945 in den frühen Morgenstunden sind in Montabaur von der Einheit L 46266 Luftgaupostamt Wiesbaden folgende russische SS-Zöglinge geflüchtet:
1) Trusi, Andreas, geb. am 28.12.1925, Erk.-Nr. 518 I-Mitl. Flakabteilung 979. Personenbeschreibung: 1,65 m groß, typisch asiatisch scharfgeschnittenes Gesicht, Schlitzaugen,
2) Wowschenko, Michael, geb. am 15.2.1927, Erk.-Nr. 519 I-Mitl. Flakabteilung 979. Personenbeschreibung: 1,68 m groß viereckige Gesichtsform, dunkelbraunes, glattgekämmtes Haar.
Beide tragen die Uniform der Luftwaffenhelfer, mit SS-Runen auf dem linken Arm sowie eine blaugelbe Armbinde, die wahrscheinlich abgelegt worden ist. Unter den SS-Runen ist das Wort "Junak" in russischer Schrift angebracht. Die Flüchtigen haben zwei Herrenfahrräder von der Dienststelle mitgenommen. ... Fluchtrichtung unbekannt. ..." [24]

Nicht nur in Fragen ideologischer Grundsätze war in den letzten Kriegsmonaten die nationalsozialistische Ordnung in Auflösung begriffen, auch Verkehr und Arbeitseinsatz konnte unter der Wirkung der alliierten Bombenangriffe nicht mehr ausreichend organisiert werden. Am 3. Februar 1945 wird die "Odyssee" eines Ostarbeiters in der Schutzpolizeidienstabteilung Montabaur protokolliert. Der vorgeladene Remsi Asisow, geb. am 2.9.1926 in Simferopol (Krim), wohnhaft in Montabaur, Gemeinschaftslager der Firma Ortlinghaus, am 17. Juni 1942 durch das Arbeitsamt Simferopol zur Arbeitsleistung nach Deutschland vermittelt, gab zu Protokoll, nach Tätigkeiten in Hillscheid, Baumbach und Siershahn am 1.12.1944 "nach Köln zu einem Fliegerhorst" geschickt worden zu sein. Er sei wie andere zur "Instandsetzung einer Rollbahn" eingesetzt worden. Der Transport nach Köln habe sieben Tage gedauert. Nach dreitägiger Arbeit sei durch einen Bombenangriff auf Köln die Unterkunft der Arbeiter zerstört worden. Er habe wie die anderen Ausländer "auf eigene Faust Köln mit dem Vorsatz" verlassen, "wieder zu seiner vorherigen alten Arbeitsstelle zurückzukehren". Auf der Fahrt nach Siershahn sei er aber "von der Eisenbahnpolizei festgenommen und in einem Straflager in Siegburg untergebracht" worden. Dort sei er in einer Fabrik und bei "Aufräumungsarbeiten auf der Bahnstation" tätig gewesen. Am 31.12.1944 habe er spontan einen haltenden Zug bestiegen und sei über Au nach Siershahn gefahren, wo er sich bei seiner alten Arbeitsstelle gemeldet habe. Am 17.1.1945 habe ihn dann das Arbeitsamt Montabaur zur Firma Ortlinghaus vermittelt. [25] Bestätigt wird seine letzte Angabe durch die "Russen-Liste" im Stadtarchiv Montabaur. Unter Nr. 3 erscheint der Name Asisow, Remsi. Allerdings wird sein Geburtsdatum mit 2.9.1925 angegeben. Seine Tätigkeit bei Ortlinghaus beginnt er am 18.1.1945. Sie wird wie die der Familie Batzukow bis zum 25.3.1945 dauern. - Am darauf folgenden Tag, dem 26. März 1945, besetzen gegen Mittag amerikanische Soldaten Montabaur.

Der Krieg aber war noch nicht beendet. Obwohl sich Hitler am 30. April 1945 im Führerbunker der Reichskanzlei das Leben nahm, glaubte noch sein Nachfolger, Großadmiral Dönitz, die Westmächte von den Sowjets trennen zu können, wie seiner Rundfunkansprache vom 1. Mai 1945 zu entnehmen ist. Der Kampf gegen den Bolschewismus sollte die Fortführung des Krieges im Osten rechtfertigen. Am 2. Mai jedoch kapitulierten die Truppen der Reichshauptstadt; am 7. bzw. 9. Mai wurde in Reims bzw. Berlin-Karlshorst die Gesamtkapitulation der deutschen Streitkräfte unterschrieben. Am 5. Juni 1945 übernahmen die Alliierten die Regierung in Deutschland.

 

[24] Stadtarchiv Montabaur, Abt. 5, Nr. 37.
[25] Stadtarchiv Montabaur, Abt. 5, Nr. 37.

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