Günter Henkel: Ein Brief aus Bjelorussland |
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Nina Batzukowa, ihr Mann und ihre Kinder hausten in überbelegten Zimmern, in denen "kein Spind oder Kasten" hätte untergebracht werden können, um "ihre mitgebrachten Kleidungsstücke" aufzubewahren, "so daß sie diese auf bzw. unter den Betten“ hätten verstauen müssen. Beanstandungen hätte Ortlinghaus abgewiesen, obwohl "von Seiten der Polizei ... erklärt wurde," dass die Firma "mehr soziales Verständnis für ihr Ostarbeiter" aufbringen müßte. Selbst die Geheime Staatspolizei habe "dieselben Mängel" festgestellt. Die Polizei musste auch beobachten, wie "Familienväter und Kinder bettelnd in Montabaur und Umgegend" herumliefen, "um sich den Hunger stillen zu können". Schließlich konstatiert der Polizeimeister, dass sich "bei dem großen Hunger der Ostarbeiter" trotz polizeilicher Maßnahmen dieses Betteln wiederholen werde. - Bis dahin ist ohne Zweifel menschliche Anteilnahme Motiv dieser Eingabe an den Landrat. Wenn dann darauf verwiesen wird, "daß alle russischen Familien, welche dort untergebracht sind, im Osten mit den deutschen Soldaten zusammengearbeitet haben," so ist das wohl ein Hinweis auf die schon erwähnte "Wlassow-Aktion". ![]() Sowjetische Zwangsarbeiterinnen der Ortlinghaus-Werke vor der Firmenlagerbaracke in Montabaur 1944 Der 1942 am Wolchow gefangengenommene sowjetische General Andrej A. Wlassow hatte die Russen zum Kampf gegen Stalin aufgerufen. Obwohl dieser Aufruf sehr erfolgreich war, hatte Hitler im Juni 1943 befohlen, die national-russische Freiheitsbewegung "abzuwürgen". [21] Erst 1944 erfolgte unter dem Eindruck der militärischen Lage ein Sinneswandel: "alle Freiwilligen, auch 'Nichtgermanen'", sollten eingestellt werden. Unabhängig von dieser Wlassow-Aktion hatten aber schon seit 1941 "fast bei jedem deutschen Truppenteil sogenannte Hilfswillige (Hiwis)" als "Fahrer, Pferdepfleger, Flickschuster, Sattler, Köche, Träger, Sanitäter oder Dolmetscher" gearbeitet. [22] Auch aus dieser Perspektive sieht der Polizeibericht in der Behandlung der Ostarbeiter durch die Firma Ortlinghaus "eine große Beleidigung" und "unwürdige Behandlung". Humane Gesinnung war auch zur Zeit des nationalsozialistischen Krieges Menschen in Montabaur nicht fremd, obwohl die Leiter von Staat und Partei zur Diskriminierung der Ostarbeiter verpflichteten. Wie aus einer amtlichen Lohnliste für Kriegsgefangene vom 1. März 1945 hervorgeht, wurden Sowjetbürger grundsätzlich benachteiligt. In der Kopfleiste des Vordrucks wird in der Spalte 9 ausdrücklich darauf verwiesen, dass "bei Sowjets höchstens RM 0,40 je Arbeitstag" ausgezahlt wurde. Kriegsgefangene anderer Nationalität erhielten "RM 0,70". [23]
[21] A.G. Dahms, Der Weltanschauungskrieg gegen die Sowjetunion, in: Der
Zweite Weltkrieg. - Bilder, Daten, Dokumente. Gütersloh 1968, S. 323. |
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