Günter Henkel: Ein Brief aus Bjelorussland |
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Schon nach der Niederlage von Stalingrad (Januar 1943) wies Reichspropagandaminister Goebbels die Reichsleiter an, "jede Kraft des europäischen Kontinents, also auch vor allem der Ostvölker, ... in den Kampf gegen den jüdischen Bolschewismus..." einzubeziehen. Es vertrüge "sich hiermit nicht, diese Völker, insbesondere die Angehörigen der Ostvölker, ... in ihrem Wertebewußtsein zu kränken." [15] - Allerdings wechselten solche Beurteilungen je nach Dienststellen und den sie leitenden Männern sowie bei Veränderungen der militärischen Lage. Wenige Wochen nach der Anweisung Josef Goebbels, im April 1943, stellte Reichsmarschall Hermann Göring fest, dass "es ein fundamentaler Irrtum" sei, "anzunehmen, wir vermöchten die Bevölkerung der besetzten Gebiete durch milde Behandlung für uns zu gewinnen ..." [16] Jedenfalls führte die erfolgreiche russische Winteroffensive 1943 zur Aufhebung gewisser Erleichterungen für Ostarbeiter. Im Stadtarchiv Montabaur findet sich eine Polizeiverordnung des Regierungspräsidenten von Wiesbaden vom 9. Februar 1944, die "jede Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ... der im Reich eingesetzten Ostarbeiter und -arbeiterinnen" verbietet. [17] Im Dezember 1944 dagegen - die Endphase des II. Weltkrieges hatte begonnen - entdeckte man wieder die Abhängigkeit der deutschen Rüstungsindustrie von den "Ostvölkern". Der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete (Alfred Rosenberg) erhoffte sich in einem Schreiben vom 18. Dezember 1944 an den Reichsjustizminister ein härteres Vorgehen gegen deutsche Volksschädlinge: "Meine Beauftragten berichten mir, daß die Stimmung unter den Arbeitern aus den Ostvölkern, insbesondere in sog. Ostarbeitslagern, immer mehr absinkt. Es ist auch beobachtet und festgestellt worden, daß sich diese stimmungsmäßige Entwicklung nachteilig auf die Leistung in der Rüstungsindustrie und auf die Kampfmoral der Freiwilligenverbände der Ostvölker auswirkt. Die Ursache liegt hauptsächlich in der trotz aller Belehrungen und Hinweise immer wieder feststellbaren falschen Behandlung sowie in der teilweise noch recht mangelhaften Fürsorge und Betreuung der Arbeiter aus den Ostvölkern in den Lagern und an den Arbeitsstätten. ... So wird bei mir vornehmlich darüber Klage geführt, daß sich die Arbeiter aus den Ostvölkern noch immer Prügeleien, Mißhandlungen und Beschimpfungen aller Art gefallen lassen müßten, daß die zugeteilten Lebens- und Genußmittel sowie sonstige Bedarfsgüter gestohlen oder veruntreut und verschoben würden. ... Daß diese Erscheinungen dort, wo sie auftreten, nicht nur Unruheherde schaffen, sondern neben der allgemeinen Schädigung des deutschen Ansehens die Kriegsproduktion hemmend beeinflussen, die Kampfkraft der eingesetzten Freiwilligenverbände lähmen und vor allem den politischen Anstrengungen und den Maßnahmen der Reichsregierung entgegenwirken, .... bedarf keiner besonderen Erläuterung. Ich darf in diesem Zusammenhang nur auf die nunmehr auch der Öffentlichkeit hinreichend bekannte Wlassow-Aktion verweisen, deren weitere Entwicklung wesentlich von der Stimmung und Haltung der im Reich befindlichen Angehörigen der Ostvölker abhängt und beeinflußt wird. ... Ich würde es daher dankbar begrüßen, wenn Sie die Gerichte und Staatsanwaltschaften in geeignet erscheinender Weise unterrichten und hierbei besonders darauf hinweisen würden, daß Verletzungen der Fürsorge- und Betreuungspflichten gegenüber den Angehörigen der Ostvölker ebenso volksschädigend sind wie gegenüber deutschen Volkszugehörigen und deshalb strafbare Handlungen mit derselben Härte verfolgt und geahndet werden müssen, die gegen Saboteure kriegsentscheidender Maßnahmen und gegen Volksschädlinge schlechthin gerechtfertigt und notwendig ist." [18] [15] ZStA Potsdam, Filmsammlung,
Nr. 2379, Bl. 478 ff; zit nach: Anatomie der Aggression. Neue Dokumente
zu den Kriegszielen des faschistischen deutschen Imperialismus im Zweiten
Weltkrieg, hrsg. u. eingel. G. Hass u. W. Schuhmann. Berlin 1972, S.
179-181. |
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