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Eginhard Scharf: Die Verfolgung pfälzischer Frauen wegen "verbotenen Umgangs" mit Ausländern

Vereinzelt schon im Sommer 1940, verstärkt aber seit dem Anlaufen der "Sonderbehandlungsverfahren" im Frühjahr 1941 setzte man in der Pfalz zur Bekämpfung verbotener Ausländerkontakte von Frauen ein besonders sadistisches Strafmittel ein: Die Erniedrigung der überführten Frau durch öffentliche Zurschaustellung und Anprangerung. [31]

Zu diesem Mittel griff man bereits bei freundschaftlichem Umgang mit Ausländern, selbst wenn keine Liebesbeziehung vorlag. Die 28-jährige Helene Kaufmann [32] in Speyer beispielsweise hatte Anfang Mai 1941 einem französischen Kriegsgefangenen Lebensmittel geschenkt und war von diesem aus Dankbarkeit geküsst worden. [33] Am Abend des 5. Mai 1941 drangen daraufhin acht Angehörige der SA und politische Leiter gewaltsam in die Wohnung der Frau ein, hielten sie fest und schnitten ihr mittels einer Schere die Kopfhaare ab. Mit Gewalt wurde sie durch die Straßen der Stadt in das Amtsgerichtsgefängnis Speyer geführt, unter dem Gejohle des den Zug begleitenden Pöbels brach Helene Kaufmann auf der Straße mehrmals zusammen. Am Amtsgerichtsgefängnis angekommen, hielt einer der Hauptbeteiligten eine Rede an die versammelte Menge und verkündete, dass es allen Frauen, die mit Kriegsgefangenen Umgang pflegten, so ergehen würde. Am folgenden Tag versuchten dieselben Täter, die Inhaftierte nochmals aus dem Gefängnis zu holen, um sie auf dem Marktplatz in Speyer an eine Art "Schandpfahl" zu stellen. Nur durch einen Nervenzusammenbruch der Gefangenen, die bettlägerig krank war, kam diese Tat nicht zur Ausführung. Entgegen der zeitgenössischen Propaganda handelte es sich bei solchen Bestrafungsritualen keineswegs um "Kundgebungen" der pfälzischen Bevölkerung oder spontane Ausbrüche des Volkszorns, sondern um von der Partei und ihren Organisationen befohlene und inszenierte Aktionen. [34] Folgerichtig hörten die Übergriffe auf, als SS-Chef Heinrich Himmler wegen des negativen Echos, das solche mittelalterlichen Strafsanktionen in Teilen der deutschen Öffentlichkeit hervorgerufen hatten, Anfang November 1941 befahl, die öffentliche Anprangerung "ehrvergessener Frauen" habe künftig zu unterbleiben. [35]

Fernschreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes Berlin an die Gestapo Saarbrücken mit der Schutzhaftanordnung für eine 21-jährige Reichsdeutsche und einen 24-jährigen Polen wegen verbotener intimer Beziehungen.

 

[32] Name vom Autor geändert.
[33] Bericht der Kripo Speyer vom 20. August 1946, LA SP Best. J 72 Nr. 291 fol. 2.
[34] Weitere Fälle von Anprangerung sind bezeugt für: Herxheim am Berg, Anfang Juli 1940 (LA SP Best. H 91 Nr. 3503), Marnheim, 28. März 1941 (LA SP Best. H 37 Nr. 2016), Dackenheim, Anfang April 1941 (LA SP Best. H 41 Nr. 92), Erpolzheim, 4. April 1941 (LA SP Best. J 72 Nr. 324), Ilbesbeim bei Landau, 24. September 1941 (LA SP Best. J 24 Nr. 693). Einen Fall im saarländischen Höcherberg vom 5./6. Juni 1941 schildern Hans-Henning Krämer/Inge Plettenberg, Feind schafft mit ... Ausländische Arbeitskräfte im Saarland während des Zweiten Weltkrieges. Ottweiler 1992. S. 136-137.
[35] Erlass vom 4. November 1941, Documenta Occupationis, Bd X (1976), S. 121-123; hier S. 123.

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