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Thematischer Überblick
Obgleich das überlieferte Zahlenmaterial zur Ausländerbeschäftigung
in Deutschland zur Zeit des Dritten Reiches auf keinen Fall dem Anspruch
standhält, die historische Wirklichkeit eins zu eins widerzuspiegeln,
so vermittelt es doch zumindest einen ungefähren Eindruck von der
enormen Größenordnung des nationalsozialistischen Mammutprojekts
"Reichseinsatz". Setzt man die quantitativen Angaben zu den
verschiedenen Fremdarbeitergruppen sowie zum Frauenanteil innerhalb
der einzelnen Nationalitäten zueinander in Beziehung, so lassen
sich durchaus auch einige strukturelle Merkmale des Arbeitseinsatzes
während der Kriegsjahre aufzeigen.
Am 30. September 1944 befanden sich knapp sechs Millionen zivile ausländische
Arbeitskräfte aus beinahe ausnahmslos allen europäischen Staaten
in Nazideutschland
(M 1) [3].
Der Anteil der Frauen betrug mit 1.990.367 immerhin 33,3%. Dabei stellten
die Sowjetbürgerinnen mehr als die Hälfte (55,9%) aller Ausländerinnen.
Die Polinnen lagen mit 29,4% an zweiter Stelle. Anders bei den Männern:
die sowjetischen Arbeiter machten hier unter allen männlichen Ausländern
26,7% aus und rangierten damit quantitativ knapp hinter den Polen. Gerade
die weiblichen Fremdarbeiter kamen also zum größten Teil
aus Osteuropa: 85,3% der ausländischen Frauen waren "Ostarbeiterinnen"
und Polinnen; von den Männern stammten dagegen "lediglich"
54,6% aus Polen und der Sowjetunion.
Betrachtet man die einzelnen Nationalitätengruppen für sich,
so ist entsprechend zu beobach-ten, dass der Anteil der Frauen innerhalb
der verschiedenen Kategorien der "Westarbeiter" oder unter
den Bürgern von mit dem Reich in freundschaftlicher Beziehung stehenden
Staaten prinzipiell wesentlich geringer ausfiel als bei den Arbeitskräften
aus dem Osten. Auf eine griffige Formel gebracht, heißt das: "Je
niedriger in der politischen und rassistischen Hierarchie der Nazis
die einzelnen Ausländergruppen angesiedelt waren, desto höher
war der Frauenanteil; von 3% bei den mit Deutschland verbündeten
Ungarn bis 51,1% bei den zivilen Arbeitskräften aus der Sowjetunion"
[4].
Die Politiker in Deutschland achteten aus taktischen Überlegungen
bei den Bündnispartnern darauf, möglichst wenig Angriffsfläche
für Kritik zu bieten; den Westmächten dagegen kam zugute,
dass das Regime hier eine "blutliche" Verwandtschaft zum eigenen
Volk zu Grunde legte. So zeigten sich Hitler und seine Helfer gegenüber
den weiblichen Angehörigen solcher Nationen auch geneigter, sich
bei deren Behandlung an den für deutsche Frauen geltenden Maßstäben
zu orientieren. Demzufolge zogen die Verantwortlichen für diese
Ausländerinnen eine kräftezehrende Beschäftigung in der
Industrie seltener in Erwägung; für die Verrichtung anspruchsvoller,
qualifizierter beruflicher Tätigkeiten dagegen bevorzugte man entsprechend
in der Partei gepflegter Klischees wohl den Einsatz ihrer männlichen
Landsleute. Dies schützte den nicht erwerbstätigen weiblichen
Bevölkerungsteil dieser Länder in gewissem Umfang vor einem
radikalen, bedingungslosen Zugriff der Rekrutierungskommandos. Die hohe
Zahl der weiblichen Verschleppten aus den besetzten Ostgebieten jedoch
deutet bereits darauf hin, dass das gängige Frauenbild der im Reich
das Zepter führenden Partei auf die "rassisch minderwertigen
Russinnen" keine Anwendung fand; in ihnen sahen die Ideologen nicht
künftige Mütter, die es zu schonen galt, sondern lediglich
kräftige, robuste und daher gerade für schwere körperliche
Tätigkeiten geeignete "Objekte".
[3] Während der ganzen Kriegszeit sind natürlich
insgesamt viel mehr Menschen ins Reich verbracht worden. Die Statistiken
der Behörden geben lediglich einen Überblick über die
Summe der zu einem bestimmten Zeitpunkt im Reich Arbeitenden; neben
Flüchtigen, Arbeitsunfähigen und Verstorbenen fielen auch
diejeni-gen, die unbehelligt nach Hause zurückkehren konnten, weil
ihre Verträge ausgelaufen waren, durch das Raster.
[4] Herbert, Fremdarbeiter S. 316.
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