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Christine Hartwig-Thürmer: Zwangsarbeit in Mainz-Gustavsburg 1942-1945

Die Betriebe und ihre Leiter dagegen hatten ein größeres Interesse an der Arbeitskraft der Zwangsarbeiter und an einem Arbeitsklima, das wenig Aufsicht und Kontrolle erforderte und zu guten Leistungen motivierte. Hier gab es bisweilen Interessenkonflikte zwischen den Betrieben und der Deutschen Arbeitsfront, die für die Lager zuständig war, sowie der Gestapo. Wenn Direktor Reinhardt durch den Betrieb ging und sich bei den Ausländerinnen und Ausländern nach ihrem Befinden erkundigte - bei Werksbesichtigungen führte er auch das Ausländerlager "Am Rosengarten" vor - vermieden die Russinnen, von Misshandlungen zu berichten, da sie neue Schikanen seitens des Lagerpersonals fürchteten. Nach Lage der Spruchkammerakten und bestätigt durch zahlreiche Zeitzeugen war Direktor Reinhardt vorrangig an guten Arbeitskräften interessiert und setzte sich in patriarchalischer Weise auch für die Belange der ausländischen Arbeiter ein. [10]

Aus den Akten des Spruchkammerverfahrens gegen Direktor Reinhardt, hier: die genaue Aufstellung der bei Kriegsende nicht ausgezahlten Lohngelder.

Die Aufenthaltsdauer der einzelnen Personen in Gustavsburg reichte von wenigen Wochen bis zu drei Jahren. [11] Nach einer Erhebung der NS-Gauleitung Hessen waren in Hessen-Nassau im Januar 1941 2,7 Millionen ausländische Arbeitskräfte beschäftigt, davon 1,3 Millionen Kriegsgefangene. Ein Jahr später waren es 3,5 Millionen Menschen, davon 1,4 Millionen Kriegsgefangene. [12]

 

[10] Interessant ist in dem Zusammenhang eine Rede des Betriebsdirektors der Fieseler Werke GmbH in Kassel, Richard Freyer, am 22. Juni 1943 über den Einsatz der Ausländer in der deutschen Rüstungsindustrie (der Autorin überlassen von Prof. Krause-Vilmar, GHS Kassel). In der Absicht, eigene Erfahrungen weiterzugeben, berichtete der nach seinem Studium auch bei der M.A.N., Werk Nürnberg (bis 1921) beschäftigte Freyer über Veränderungen im Produktionsablauf in Richtung Automatisierung ("Der Einsatz der Ausländer in der deutschen Industrie wird nach dem Kriege nachklingen und seine Auswirkungen haben. Der zurückkehrende deutsche Facharbeiter findet in zahlreichen Fällen seine Arbeit rationalisiert vor (...). Die Planung und Arbeitsvorbereitung wird als Ausfluß der Ausländerbeschäftigung noch viel tiefschürfender, noch viel mehr ins Einzelne gehen müssen, als das bisher üblich war.“) und fasst wertend zusammen: "Die Kriegsaufgabe des Ausländereinsatzes in der deutschen Rüstungsindustrie, anfangs ein Experiment, wurde ein voller Erfolg."
[11] Erst vor kurzem gelang es, die anscheinend vollständige Kartei der Ortsverwaltung zu sichern, die für alle ausländischen Personen in Gustavsburg angelegt wurde. Eine Auswertung der Fülle von Daten steht noch aus. Es sind sechs Karteikästen, nach Herkunftsländern geordnet, Russland, Italien, Belgien, Holland, Frankreich, Sonstige (Gemeindeverwaltung Ginsheim-Gustavsburg).
[12] Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 483. Insgesamt wurden nach Zahlen, die Ulrich Herbert nennt, 7,7 Millionen Zwangsarbeiter in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges beschäftigt.

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