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Christine Hartwig-Thürmer: Zwangsarbeit in Mainz-Gustavsburg 1942-1945

Anschließend unternahm sie mit anderen zusammen einen Ausbruchsversuch, wurde in Stuttgart gefasst, ins Gefängnis gebracht und überlebte später das Konzentrationslager Ravensbrück. Die Beurteilung der verschiedenen Deutschen, mit denen Nora Idsikowskaja in der kurzen Zeit ihres Aufenthalts bei der M.A.N. zusammenkam, zeigt schon die Bandbreite möglicher Verhaltensweisen von Deutschen im "Dritten Reich" den ausländischen Arbeitskräften gegenüber. Jakob Lehrbach beispielsweise wird von ihr wie folgt charakterisiert:

"Dann kam jemand, der sagte er sei unser Chef, Herr Lehrbach. Ich sehe ihn noch heute vor Augen. Er war ganz trocken, aber ich kann nicht sagen, daß er böse war. Er hat nicht geschrien und hatte immer seinen Dolmetscher dabei, einen Deutschen, der perfekt Russisch sprach. (...) Er duzte mich nicht. (...) Er sagte: 'Sie sind doch ein Kind aus einer intelligenten Familie. Sie werden doch nicht die schmutzigen Toiletten saubermachen wollen.'"

Andere Stimmen verurteilten Lehrbach, der nach einer TBC-Erkrankung die Lagerleitung nicht länger innehatte, wie z.B. Adam Regner, der spätere stellvertretende Leiter des Ostarbeiterlagers. Er sagte in seinem Spruchkammerverfahren aus, er habe Herrn Lehrbach öfter darauf aufmerksam gemacht, "daß er doch die Züchtigungen mit der Peitsche unterlassen solle, denn auch die Ostarbeiter seien Menschen. Herr Lehrbach erwiderte mir wiederholt darauf, daß diese Art der Behandlung die zweckmäßigste und abschreckendste wäre, außerdem seien auch die russischen Polizisten, die im Lager eingesetzt sind, damit einverstanden und mit der Durchführung der Bestrafung beauftragt." [8]

Propagandafoto: Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter werden bei der M.A.N. im Schweißen angelernt. Für das gestellte Gruppenfoto haben die Frauen ihre Sonntagskleider angezogen.

Mit Hilfe von Bestechungen durch Zigaretten oder zusätzlichen Lebensmitteln wurde ein umfangreiches Spitzelsystem aufgebaut, sodass die Gestapo über die Vorgänge im Lager informiert war. Rassenideologie und NS-Diktatur boten denjenigen Deutschen, die ihre Machtgelüste ausleben wollten, ausreichende Rechtfertigung, die ausländischen Zwangsarbeiter zu misshandeln. Zeitzeugenberichte belegen, dass Prügelstrafen, Dunkelhaft und Vergewaltigungen keine Einzelfälle waren (die Einrichtung der Säuglingsstation im Lager weist wohl auch darauf hin); wiederholt befasste sich der Vertrauensrat der M.A.N. mit Vorkommnissen, bei denen der Werkschutz oder die Lagerleitung ihre Befugnisse überschritten hatten, so dass als Strafen festgelegt wurden: "l. Verwarnungen, 2. Ausgehverbot, 3. Rauchwarenentzug, 4. Einteilung zu Sondereinsätzen, 5. in schweren Fällen Inhaftierung (nur bei Ostarbeitern)." [9]

 

[8] Zit. nach: Hartwig-Thürmer 1989, S. 209; siehe auch S. 211 Anm. 7.
[9] Zit. nach: Hartwig-Thürmer 1989, S.209.

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