zurück zur Startseite
 

Michael Martin: Zwangsarbeiter in Landau

Zum Verhältnis zwischen den Zwangsarbeitern und der einheimischen Bevölkerung

Natürlich wäre es hochinteressant, etwas über das Verhältnis zwischen den Zwangsarbeitern und der einheimischen Bevölkerung zu erfahren. Dazu geben aber die städtischen Akten nichts her, und die Historiker sind auf Augenzeugenberichte angewiesen, die aber nie übernommen werden sollten, ohne sie mit viel Sachkenntnis und Hintergrundwissen anhand anderer Quellen überprüft zu haben.

Wir wissen, daß es strenge Regeln der Abgrenzung zwischen Zwangsarbeitern und der Bevölkerung gab, deren Übertretung auch schwer geahndet werden konnte. Aus Landau ist bislang nur ein derartiger Fall bekannt. Bislang deshalb, weil die Strafverfolgungsakten nach 1945 noch nicht alle überprüft sind. In dem nahe bei Landau gelegenen Dorf Ilbesheim wurde ein junges Mädchen wegen eines Verhältnisses mit einem französischen Kriegsgefangenen denunziert, dann von drei SA-Leuten aus Landau, weil sich im Dorf dazu niemand bereit fand, und vom Ortsgruppenleiter kahl geschoren und durchs Dorf geschleift. Die Täter wurden 1948 zu Strafen zwischen zwölf und vier Monaten Gefängnis verurteilt. [26]

Es war bereits vom kollektiven Gedächtnis die Rede, das vor allem dann funktioniert, wenn es persönliche Bezüge oder Verbindungen mit Zwangsarbeitern innerhalb der Dörfer oder der Familien gab oder noch gibt.

Ein Faktum ist in diesem Gedächtnis ebenso präsent: Plünderungen und Morde nach Kriegsende. Ob hier in Landau, wo das Proviantamt geplündert wurde und die Zwangsarbeiter als Hauptschuldige genannt wurden und immer noch genannt werden, obwohl bei der Aktion nach zeitgenössischen Quellen sehr viele Einheimische beteiligt waren, oder bei der Tragödie in Roschbach am 26. April 1945, wo polnische ehemalige Zwangsarbeiter das Dorf überfielen und sechs Bewohner ermordeten – eines ist allen Erinnerungen gemeinsam: Die Situation der Menschen in den Lagern während des Krieges bleibt weitgehend ausgeblendet und unberücksichtigt. Sie mag auch vielen Zeitgenossen damals nicht ausreichend bekannt gewesen sein oder sie auch nicht interessiert haben. Und ein Zweites: Der einzig angemessene Ausdruck "Zwangsarbeiter" wird fast nirgends verwendet. Immer noch ist die Rede von Fremd- und Ostarbeitern. Dabei finden sich in der fast 42 Bände umfassenden Dokumentation des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg genügend Beispiele, die den damals ausgeübten Zwang belegen. Und der bereits zitierte Fritz Sauckel hatte recht, als er im März 1944 sagte: "Von den fünf Millionen ausländischen Arbeitern, die nach Deutschland gekommen sind, sind keine 200 000 freiwillig gekommen." [27] Sauckel wurde im Übrigen als einer der Hauptangeklagten bei den Nürnberger Prozessen zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Das nationalsozialistische System der Zwangsarbeit wurde damals als "Sklavenarbeitsprogramm" gebrandmarkt, und an dieser Definition sollte auch heute noch oder wieder festgehalten werden.

 

[26] LA SP Best. J 24 Nr. 697 und "Die Rheinpfalz" vom 7.2.1948. Siehe auch: Scharf, Eginhard: Quellenzeugnisse zum Umgang von Gestapo und Bevölkerung mit den polnischen Fremdarbeitern in der Pfalz. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz. 95.Band. 1997. S. 432.
[27] Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 1948. Bd XV, S. 12.

[zurück]

Hinweis: Diese Webseite wird vom IGL auch Jahre nach Abschluss des Projekts weiterhin zur Verfügung gestellt. Die unten angezeigten Inhalte sind aber veraltet und spiegeln möglicherweise nicht den aktuellen Forschungsstand wider. (Klicken Sie auf diese Meldung, um sie auszublenden.)