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Hedwig Brüchert: Zwangsarbeit 1939-1945 – der "Arbeitseinsatz" von zivilen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in den Regionen des heutigen Landes Rheinland-Pfalz.

Sowjetische und polnische Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

Abb.: Säuglingsstation im Lager M.A.N. in Mainz- Gustavsburg

Von den am 30. September 1944 im Reichsgebiet registrierten knapp sechs Millionen zivilen ausländischen Arbeitskräften waren knapp zwei Millionen Frauen. Weitaus die meisten dieser Arbeiterinnen stammten aus der Sowjetunion (ca. 56%) und aus Polen (ca. 30%). Neben den zahlreichen Vorzügen beim Einsatz von "Ostarbeiterinnen" und Polinnen in Industrie, Landwirtschaft oder Privathaushalten gab es allerdings einen gravierenden Störfaktor: die häufigen Schwangerschaften.

Die Initiatoren des Arbeitseinsatzes hielten es anfangs für das Beste, diejenigen polnischen und sowjetischen Frauen, die schwanger nach Deutschland deportiert worden waren oder die im Reich schwanger wurden, ohne Umschweife wieder in ihr Heimatland zurückzubefördern. Am 15. Dezember 1942 jedoch wies der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz die Landesarbeitsämter an, die Rückführung schwangerer "Ostarbeiterinnen" wegen "dringender arbeitseinsatzmäßiger Erfordernisse" vorläufig einzustellen.

Maßgeblichen Einfluss auf die "Behandlung schwangerer ausländischer Arbeiterinnen und der im Reich von ausländischen Arbeiterinnen geborenen Kinder" nahm der Reichsführer SS Himmler. Er ließ zunächst abklären, ob bei den schwangeren Frauen mit "erwünschtem" oder "unerwünschtem" Nachwuchs zu rechnen war. "Rassisch wertvolle" Säuglinge (die von einem deutschen Mann oder einem anderen Angehörigen "germanischen Volkstums" gezeugt worden waren) sollten in die Obhut deutscher Fürsorgestellen (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, "Lebensborn"-Verein) gegeben werden.

Entbindungen von "Ostarbeiterinnen" sollten in von den Landesarbeitsämtern speziell eingerichteten Lagern vorgenommen werden. Für den Gau Hessen-Nassau-Süd war dies das berüchtigte Lager Pfaffenwald bei Hersfeld, gegen Kriegsende häufig auch die Krankenstation des Durchgangslagers Kelsterbach. Offenbar war das Aufnahmevermögen dieser Lager jedoch begrenzt, so dass viele sowjetische Frauen ihre Kinder in den Ausländerwohnlagern oder in Krankenhäusern in der Umgebung ihres Arbeitsortes zur Welt brachten. So sind allein in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Alzey rund 460 Entbindungen von "Ostarbeiterinnen" registriert.

In den meisten Fällen wurde von den Behörden jedoch ein Schwangerschaftsabbruch angestrebt. In diesem Fall musste der Arbeitgeber nur für kurze Zeit auf die Arbeitskraft verzichten, und das lästige Problem der Versorgung der Säuglinge (als "unnütze Esser" betrachtet) entfiel gänzlich. Laut einer Rundverfügung des Reichsgesundheitsministers Conti vom 11. März 1943 durfte daher bei "Ostarbeiterinnen auf Wunsch der Schwangeren die Schwangerschaft unterbrochen werden". Obwohl die Zustimmung der betroffenen Frauen zu einer Abtreibung durch Unterzeichnung eines entsprechenden Formulars eingeholt werden sollte, kann man jedoch angesichts ihrer schwierigen Lebenssituation und des durch Arbeitgeber und Behörden ausgeübten Drucks kaum von einer freien Entscheidung der schwangeren Osteuropäerinnen ausgehen.

Einmal im Monat machte der "Eignungsprüfer", SS-Oberscharführer Dr. Reinhold Ratzeburg, bei den Gesundheitsämtern im Einzugsbereich des Wiesbadener Rasse- und Siedlungsamtes die Runde, um die dorthin vorgeladenen Personen nach den Maßgaben Himmlers näher zu inspizieren. Seine Haupttätigkeit bestand neben Beurteilungen von "Wiedereindeutschungen", "Sonderbehandlungen" und "Ausländerehesachen" in der Begutachtung von Schwangeren und dem "Wert" ihres Nachwuchses. In den meisten Fällen befürwortete er den Schwangerschaftsabbruch.

Neben den in Deutschland geborenen "Ostkindern" lebten in den Ausländerlagern zahlreiche Kleinkinder, die man mit ihren Müttern aus ihrem Heimatland nach Deutschland verschleppt hatte. Sie waren tagsüber, während die Erwachsenen arbeiteten, meist sich selbst überlassen. Für sie gab es keine Schulen und keine Kindergärten.

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