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Jan Storre: Zwangsarbeit in Speyer 1939 bis 1945

Die Überführung der französischen Hehler lässt vermuten, dass selbst in der Illegalität - in diesem Fall auf dem Schwarzmarkt bzw. beim Tauschhandel - die von den Nationalsozialisten nach ideologischen Aspekten praktizierten Abstufungen zwischen den einzelnen Ausländergruppen weiterexistierten. Da die Westarbeiter über mehr Lebensmittel und Geld verfügten als ihre Kollegen aus der Sowjetunion, verschaffte ihnen dies auch auf dem Schwarzmarkt eine bessere Ausgangsposition. Herbert vermutet sogar, dass die von den Nationalsozialisten künstlich herbeigeführte soziale Hierarchie unter den Ausländer-Gruppen durch die Ausweitung der Substrukturen auf Versorgung und Schwarzmarkt eher noch ausgedehnt und die Abstufungen somit noch rigoroser wurden.

Auch für die Stadt Speyer ist durch zahlreiche Quellenbelege die Existenz ‚sozialer Substrukturen' nachgewiesen. In Bezug auf Schwarzmarkt und Tauschhandel richteten sich diese nicht nach den Prinzipien politischer Widerständigkeit, sondern nach denen des Marktes. Sie negierten den Totalitätsanspruch der Nationalsozialisten, indem sie sich ihrem Einfluss entzogen. Somit stellten sie eine wichtige Form der Resistenz dar. Die angeführten Beispiele aus den Berichten der Kriminalpolizei belegen, wie wenig die Polizei über den genauen Ablauf des illegalen Tauschhandels wusste und wie wenig sie ihn vor allem zu unterbinden vermochte.

In Bezug auf verbotene Kontakte und ‚GV-Verbrechen' gingen Kriminalpolizei und Gestapo mit ähnlicher Härte wie auch andernorts sowohl gegen Ausländer als auch gegen deutsche Frauen vor. Die öffentliche Diffamierung einer einheimischen Arbeiterin, der ein Liebesverhältnis mit einem Franzosen nachgesagt wurde, blieb in Speyer die Ausnahme. Von dieser Vorgehensweise erhofften sich die Nazis eine abschreckende Wirkung. Einerseits spiegeln derartige Maßnahmen die Macht des nationalsozialistischen Terrorregimes wider, offenbaren anderseits aber auch eine Ratlosigkeit, wie diese ‚Delikte' wirksam zu unterbinden seien. Im Bewusstsein, nicht alle Kontakte zwischen Ausländern und Deutschen verhindern zu können, griffen Gestapo und Kriminalpolizei zum Mittel der Abschreckung, verfehlten damit jedoch ihr Ziel entscheidend. Zu keinem Zeitpunkt des Krieges gelang es ihnen auch nur annähernd, Kontakte und engere Beziehungen zwischen Zwangsarbeitern und der deutschen Bevölkerung zu verhindern. Diese Lücken im Überwachungsapparat ließen Platz für ein gewisses Maß an Menschlichkeit und Normalität im Leben einiger Ausländer. So war es der Zeitzeugin Olga M. möglich, während des Krieges ihren späteren deutschen Mann kennen zu lernen. Diese Freiräume hatten jedoch nur Bestand, wie bereits für den Freizeitbereich konstatiert, wenn das soziale Umfeld nicht zur Denunziation bereit war. Entscheidend war die Polizei bei der Aufdeckung von Fällen des ‚verbotenen Umgangs' auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen.

Für den weiten Bereich des Alltags, vor allem aber auch für die Bereiche des Nonkonformismus, der Opposition und des Widerstands, entstand am Beispiel der Stadt Speyer ein sehr detailliertes Bild des ‚Zwangsarbeitereinsatzes'. Trotz seines kirchlichen und konservativen Milieus waren die Lebensbedingungen und die Behandlung durch die Einsatzleiter oft schlecht. Doch erlaubte die Quellenlage andererseits auch, Ausnahmen festzustellen und auf Lücken der Überwachung hinzuweisen, die in Einzelfällen erstaunliche Freiräume zuließen. Trotz dieser Nischen darf allerdings nicht vergessen werden, dass auch in Speyer die ausländischen Arbeiter in der Regel gegen ihren Willen zur Arbeit für die deutsche Kriegswirtschaft gezwungen wurden.

[29] Vgl. Herbert: Fremdarbeiter, S. 347.
[30] Herbert sieht dagegen in dieser sozialen Substruktur sogar eine Konsequenz auf dem Totalitätsanspruch der Nazis: "es zeigt sich hier, daß eine Gesellschaft, die ausschließlich auf Reglementierung und nicht auf der kollektiven Internalisierung eines sozialen Konsensus beruht, sich die Gegenwelt zur Reglementierung selbst produziert. Insofern trugen Schwarzmarkt und das Regiment der Schieber und Zuhälter eher zur Stabilisierung als zur Erosion der Nazi-Herrschaft über die ausländischen Arbeiter bei" (Ebd., S. 347.).
[31] Überliefert in den Akten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankenthal aus dem Jahr 1946 (LA Sp. J 72, Nr. 291) sowie beschrieben durch Eginhard Scharf: Quellenzeugnisse zum Umgang von Gestapo und Bevölkerung mit den polnischen Fremdarbeitern in der Pfalz. Eine Spurensuche in den Akten der Gestapostelle Neustadt an der Weinstraße. In: MHVP 95 (1997), S. 401-474.
[32] Übereinstimmend auch Schäfers Ergebnisse zu Württemberg (Vgl. Schäfer, Annette: Zwangsarbeiter und NS-Rassenpolitik. Russische und polnische Arbeitskräfte in Württemberg 1939-19435. Stuttgart 2000 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, 143).) sowie Herberts Untersuchungen mit einem Schwerpunkt auf dem Ruhrgebiet (Vgl. Herbert: Fremdarbeiter.).

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