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Die Überführung der französischen Hehler lässt
vermuten, dass selbst in der Illegalität - in diesem Fall auf dem
Schwarzmarkt bzw. beim Tauschhandel - die von den Nationalsozialisten
nach ideologischen Aspekten praktizierten Abstufungen zwischen den einzelnen
Ausländergruppen weiterexistierten. Da die Westarbeiter über
mehr Lebensmittel und Geld verfügten als ihre Kollegen aus der
Sowjetunion, verschaffte ihnen dies auch auf dem Schwarzmarkt eine bessere
Ausgangsposition. Herbert vermutet sogar, dass die von den Nationalsozialisten
künstlich herbeigeführte soziale Hierarchie unter den Ausländer-Gruppen
durch die Ausweitung der Substrukturen auf Versorgung und Schwarzmarkt
eher noch ausgedehnt und die Abstufungen somit noch rigoroser wurden.
Auch für die Stadt Speyer ist durch zahlreiche Quellenbelege die
Existenz sozialer Substrukturen' nachgewiesen. In Bezug auf Schwarzmarkt
und Tauschhandel richteten sich diese nicht nach den Prinzipien politischer
Widerständigkeit, sondern nach denen des Marktes. Sie negierten
den Totalitätsanspruch der Nationalsozialisten, indem sie sich
ihrem Einfluss entzogen. Somit stellten sie eine wichtige Form der Resistenz
dar. Die angeführten Beispiele aus den Berichten der Kriminalpolizei
belegen, wie wenig die Polizei über den genauen Ablauf des illegalen
Tauschhandels wusste und wie wenig sie ihn vor allem zu unterbinden
vermochte.
In Bezug auf verbotene Kontakte und GV-Verbrechen' gingen Kriminalpolizei
und Gestapo mit ähnlicher Härte wie auch andernorts sowohl
gegen Ausländer als auch gegen deutsche Frauen vor. Die öffentliche
Diffamierung einer einheimischen Arbeiterin, der ein Liebesverhältnis
mit einem Franzosen nachgesagt wurde, blieb in Speyer die Ausnahme.
Von dieser Vorgehensweise erhofften sich die Nazis eine abschreckende
Wirkung. Einerseits spiegeln derartige Maßnahmen die Macht des
nationalsozialistischen Terrorregimes wider, offenbaren anderseits aber
auch eine Ratlosigkeit, wie diese Delikte' wirksam zu unterbinden
seien. Im Bewusstsein, nicht alle Kontakte zwischen Ausländern
und Deutschen verhindern zu können, griffen Gestapo und Kriminalpolizei
zum Mittel der Abschreckung, verfehlten damit jedoch ihr Ziel entscheidend.
Zu keinem Zeitpunkt des Krieges gelang es ihnen auch nur annähernd,
Kontakte und engere Beziehungen zwischen Zwangsarbeitern und der deutschen
Bevölkerung zu verhindern. Diese Lücken im Überwachungsapparat
ließen Platz für ein gewisses Maß an Menschlichkeit
und Normalität im Leben einiger Ausländer. So war es der Zeitzeugin
Olga M. möglich, während des Krieges ihren späteren deutschen
Mann kennen zu lernen. Diese Freiräume hatten jedoch nur Bestand,
wie bereits für den Freizeitbereich konstatiert, wenn das soziale
Umfeld nicht zur Denunziation bereit war. Entscheidend war die Polizei
bei der Aufdeckung von Fällen des verbotenen Umgangs' auf
Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen.
Für den weiten Bereich des Alltags, vor allem aber auch für
die Bereiche des Nonkonformismus, der Opposition und des Widerstands,
entstand am Beispiel der Stadt Speyer ein sehr detailliertes Bild des
Zwangsarbeitereinsatzes'. Trotz seines kirchlichen und konservativen
Milieus waren die Lebensbedingungen und die Behandlung durch die Einsatzleiter
oft schlecht. Doch erlaubte die Quellenlage andererseits auch, Ausnahmen
festzustellen und auf Lücken der Überwachung hinzuweisen,
die in Einzelfällen erstaunliche Freiräume zuließen.
Trotz dieser Nischen darf allerdings nicht vergessen werden, dass auch
in Speyer die ausländischen Arbeiter in der Regel gegen ihren Willen
zur Arbeit für die deutsche Kriegswirtschaft gezwungen wurden.
[29] Vgl. Herbert: Fremdarbeiter, S. 347.
[30] Herbert sieht dagegen in dieser sozialen Substruktur
sogar eine Konsequenz auf dem Totalitätsanspruch der Nazis: "es
zeigt sich hier, daß eine Gesellschaft, die ausschließlich
auf Reglementierung und nicht auf der kollektiven Internalisierung eines
sozialen Konsensus beruht, sich die Gegenwelt zur Reglementierung selbst
produziert. Insofern trugen Schwarzmarkt und das Regiment der Schieber
und Zuhälter eher zur Stabilisierung als zur Erosion der Nazi-Herrschaft
über die ausländischen Arbeiter bei" (Ebd., S. 347.).
[31] Überliefert in den Akten der Staatsanwaltschaft
beim Landgericht Frankenthal aus dem Jahr 1946 (LA Sp. J 72, Nr. 291)
sowie beschrieben durch Eginhard Scharf: Quellenzeugnisse zum Umgang
von Gestapo und Bevölkerung mit den polnischen Fremdarbeitern in
der Pfalz. Eine Spurensuche in den Akten der Gestapostelle Neustadt
an der Weinstraße. In: MHVP 95 (1997), S. 401-474.
[32] Übereinstimmend auch Schäfers Ergebnisse
zu Württemberg (Vgl. Schäfer, Annette: Zwangsarbeiter und
NS-Rassenpolitik. Russische und polnische Arbeitskräfte in Württemberg
1939-19435. Stuttgart 2000 (Veröffentlichungen der Kommission für
Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, 143).)
sowie Herberts Untersuchungen mit einem Schwerpunkt auf dem Ruhrgebiet
(Vgl. Herbert: Fremdarbeiter.).
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