Nach dem Überfall auf die Sowjetunion: Menschen
als Kriegsbeute
Entscheidung für den "Ostarbeiter"-Einsatz
Nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941
war von der Führung des NS-Staates zunächst lediglich die
Ausbeutung der materiellen Ressourcen in den besetzten Gebieten geplant.
Der Hungertod von Millionen von einheimischen Menschen wurde kaltblütig
einkalkuliert. Auch Millionen von sowjetischen Kriegsgefangenen ließ
man in den Lagern verhungern, da man glaubte, auf sie verzichten zu
können. Erst als sich der schnelle Endsieg nicht einstellte, erkannten
die NS-Wirtschaftsführer, vor allem der Generalbevollmächtigte
für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel, den unermesslichen Wert
des Arbeitskräftepotentials im Osten.
Das Hereinholen der bisher von der Nazi-Propaganda stets verteufelten
"Untermenschen" und "russischen Bestien" in das
eigene Land stellte jedoch ein ideologisches Problem dar. Mit der angeordneten
gefangenenmäßigen Unterbringung sowie einer bewusst diskriminierenden
Behandlung und schlechten Ernährung der "Russen", ergänzt
durch ein rigides Bestrafungssystem bis zur standrechtlichen Exekution,
wollten die NS-Behörden die deutsche Bevölkerung beruhigen.
Zivilarbeitskräfte aus der Sowjetunion
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Aufstellung
der Lager mit Zivilarbeitern aus den alt-sowjetrussischen Gebieten
in der Saarpfalz, 30.06.1942 (LA Speyer H 45, 4108) |
Im Winter 1941/42 trafen die ersten größeren Gruppen von
sowjetischen Zivilarbeitern in Deutschland ein. Sie wurden von den Arbeitsämtern
überwiegend Industrie- und Gewerbebetrieben zugewiesen, ein kleiner
Teil arbeitete in der Landwirtschaft oder in Privathaushalten.
Viele der sowjetischen Arbeitskräfte waren noch im jugendlichen
Alter von unter 20 Jahren. Die meisten litten stark unter Heimweh. Auf
die "Ostarbeiterinnen" fanden die Arbeiterinnenschutzgesetze,
die für deutsche Frauen galten, keine Anwendung. Sie mussten in
der Industrie und in der Landwirtschaft ebenso hart arbeiten wie die
Männer.
Dokument: Fritz
Sauckel auf einer Tagung der Arbeitseinsatzstäbe am 6.1.1943
Mit der Fortdauer des Krieges, der sinkenden Bereitschaft der Bevölkerung
in den besetzten östlichen Gebieten zur freiwilligen Arbeit in
Deutschland und zunehmender Partisanentätigkeit wurden die Rekrutierungsmethoden
immer brutaler. 1943/1944 wurden häufig ganze Familien mit Kleinkindern
und alten Leuten gewaltsam nach Deutschland verschleppt, ihre Dörfer
oft verwüstet und niedergebrannt.
Auch im Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz mussten viele Zehntausende
von sowjetischen Männern, Frauen und Kindern Zwangsarbeit verrichten.
Bei der Ankunft in Deutschland wurden die Männer und Frauen aus
der Sowjetunion zunächst in die Durchgangslager der einzelnen Arbeitsamtsbezirke
gebracht. Dort wurden sie desinfiziert und untersucht. Danach erfolgte
die Zuweisung an die Arbeitgeber der Region. Das Verteillager für
den Arbeitsamtsbezirk Pirmasens war etwas außerhalb der Stadt,
in der Gemarkung der Gemeinde Donsieders, gelegen und trug die offizielle
Bezeichnung: "Durchgangslager (Dulag) Pirmasens-Nord"; manchmal
wurde es auch "Lager Biebermühle" genannt. Unmittelbar
daneben befand sich ein großes Fremdarbeiterlager der Reichsbahn,
Bahnmeisterei Pirmasens-Nord.
Abb.:
Ostarbeiter im Durchgangslager (Dulag) Pirmasens
Erkrankte Zwangsarbeiter wurden in der Regel in die Krankenstation
des Durchgangs-lagers zurückgebracht. Schwerkranke wurden im dazugehörigen
Ostarbeiterkrankenhaus im benachbarten Waldfischbach behandelt. Hier
war Personal aus der Sowjetunion eingesetzt. In den Durchgangslagern
der Arbeitsämter wurden meist auch Entbindungen und Schwangerschaftsabbrüche
durchgeführt. Die Sterberate der in solchen Lagern geborenen "Ostkinder"
war sehr hoch.
Ausländerinnen und Ausländer, die im Durchgangslager Pirmasens-Nord
oder im Krankenhaus Waldfischbach starben (darunter auch mehrere Dutzend
Kinder), wurden anfangs auf dem Gemeindefriedhof von Donsieders beerdigt.
Als dort der Platz nicht mehr ausreichte, wurde außerhalb des
Ortes, auf Ackergelände am Hang oberhalb des Lagers, ein eigener
Ausländerfriedhof angelegt, auf dem zahlreiche Männer, Frauen
und Kinder aus der Sowjetunion bestattet wurden. Hier wurden auch die
im Reichsbahnlager Pirmasens-Nord oder bei anderen Arbeitgebern in der
Umgebung Verstorbenen beigesetzt, darunter auch etliche polnische Zivilarbeiter
sowie einige Kriegsgefangene aus verschiedenen Ländern, deren Arbeitskommandos
in der Umgebung zur Arbeit eingesetzt waren.
Im Juli 1950 wurden auf Anordnung der französischen Militärregierung
504 Tote auf dem Ausländerfriedhof in Donsieders exhumiert und
in das Ehrenfeld für sowjetische Opfer des Nationalsozialismus
auf dem Waldfriedhof in Mainz-Mombach umgebettet.
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