M 14Thomas Kuczynski, Entschädigungsansprüche für Zwangsarbeiter im "Dritten Reich"Der kürzlich verstorbene Hans Frankenthal, ehedem als KZ-Häftling beim Aufbau des Buna-Werkes der IG Farben in Auschwitz eingesetzt, hat die bei allen Entschädigungsverhandlungen zu erhebende Grundforderung so formuliert: "Den ehemaligen Sklavenarbeitern steht zumindest der bis heute nicht ausbezahlte Arbeitslohn zu." Es geht also nicht um irgendwelche „moralischen Gesten“, die der deutsche Staat und die deutsche Wirtschaft meinen, sich aus einer sogenannten historisch-moralischen Verantwortung leisten zu müssen, eine Floskel, die übrigens hervorragend geeignet ist, das eigentliche, nämlich das deutsche Exportinteresse zu bemänteln. Es darf ja nicht vergessen werden, daß die Verhandlungen über die Entschädigungen überhaupt erst in Gang kamen, als in den USA Anzeigenkampagnen gegen dort aktive deutsche Konzerne gestartet worden waren. Die Forderung, die Entschädigungen endlich zu leisten, hatte übrigens das Europäische Parlament schon 1986 erhoben – damals noch gegenüber der alten Bundesrepublik. Es geht allein um die Rückzahlung vorenthaltener Löhne, um nichts anderes. Die Entschädigungsforderungen haben daher eine sehr einfache Grundlage, die auch all denen, die Löhne oder Gehälter empfangen oder zahlen müssen, verständlich ist: Was die Zwangsarbeitskräfte damals zu wenig ausbezahlt bekommen haben, muß ihnen heute nachgezahlt werden. [...] In meinem Gutachten habe ich nachgewiesen, daß den Zwangsarbeitskräften insgesamt mindestens 180 Milliarden D-Mark [92,03 Mrd. €] nachzuzahlen wären. Diese Zahl ist vom Verhandlungsführer der deutschen Delegation, Otto Graf Lambsdorff, als unseriös bezeichnet worden. Allerdings haben weder er noch einer seiner Berater dieser Zahl eine andere entgegengesetzt. Es gibt weder von seiten der Regierung noch von seiten der Wirtschaft irgendeine Zahl, aus der sich ableiten ließe, worauf die Verhandlungsführer ihre Taktik basieren. Sie werden sich auch hüten, dazu etwas zu sagen, denn ihre Taktik ist auf ein einziges Zahlungsziel ausgerichtet: Es wird so wenig wie möglich gezahlt – am besten gar nichts. Das Resultat meiner Untersuchungen hat manche erschrocken. Nun sind die berechneten 180 Milliarden in der Tat nicht ganz wenig. Aber es sind auch nicht unvorstellbar viel – wenn wir beispielsweise daran denken, daß das letzte Übernahmeangebot im Kampf um den Mannesmann-Konzern bei über 250 Milliarden D-Mark [127,82 Mrd. €] lag. Wer bereit und in der Lage ist, im Kampf um die Übernahme eines Konzerns Beträge von 250 Milliarden zu zahlen, ist theoretisch und vor allem auch praktisch in der Lage, 180 Milliarden an Entschädigungen zu zahlen. Gewiß, an den 250 Milliarden für Mannesmann hängen einige Millionen Handybesitzerinnen und -besitzer, die heute höchst profitabel sind, an den 180 Milliarden Entschädigung dagegen „lediglich“ einige Millionen ehemaliger Zwangsarbeitskräfte, die zwar damals sehr profitabel waren, aber es heute nicht mehr sind – das jedoch ist der einzige Unterschied. Quelle: Thomas Kuczynski: Entschädigungsansprüche für Zwangsarbeit im "Dritten Reich'". In: Winkler, Ulrike (Hg.): Stiften gehen: NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte. Köln 2000, S. 170-171. |